Podcast | Folge: 76 | Dauer: 47:19

Vergewaltigungs-Drohungen, Deep-Fake-Pornos, Hass – was musst du bei „Twitch“ erleben, Pia Scholz?

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[00:00:01.860] - Pia Scholz

Dann habe ich eine ganz krasse Erfahrung dieses Jahr machen müssen mit Menschen, die ganz konkret sexualisierte Gewalt an mir beschrieben haben. Also wir haben mittlerweile drei Subreddits schließen lassen, die eröffnet wurden, mit dem Ziel, darin, sich darüber auszutauschen, wie man mich vergewaltigt oder mir generell sexuelle Gewalt antut. Und du merkst auch, dass wenn du sagst: "Hey, das ist nicht gut, dass ihr das macht." Dass sie dann ganz gezielt anfangen, das noch weiter zu machen, als wäre das quasi so ein Ritterschlag, so ein "Ja, cool. Ich diskriminiere gerade eine Person und die beschwert sich darüber. Dann mache ich das jetzt erst recht."

[00:00:40.380] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:04.210] - Nadia Kailouli

Zu Beginn war die Streamingplattform Twitch vor allem für eines bekannt für Gaming. Hier werden die neuesten Computerspiele vorgestellt, gespielt und kommentiert. Heute reicht aber ein kurzer Blick, um festzustellen: Twitch ist mittlerweile eine Plattform, auf der sich auch viele Männer tummeln, die vor allem schwer frauenfeindlich unterwegs sind. Eine, die das zu spüren bekommt, ist Pia Scholz. Sie ist im Internet seit 2015 unter dem Namen Shurjoka bekannt und engagiert sich für politische und gesellschaftliche Themen. Im vergangenen Jahr wurde sie dafür beim Deutschen Computerspielpreis als Spielerin des Jahres ausgezeichnet. Sie engagiert sich gegen Rechtsextremismus und für Feminismus. Und für viele, gerade für Männer, ist sie damit zu einem Hassobjekt geworden. Sie wird beleidigt, angepöbelt und bedroht. Wie sie das aushält, das erzählt sie uns jetzt selbst hier bei einbiszwei.

[00:01:51.940] - Nadia Kailouli

Dann sage ich herzlich willkommen bei einbiszwei Pia Scholz. Oder man kennt sie auch unter dem Namen Shurjoka. Hi.

[00:02:00.460] - Pia Scholz

Hallo! Ich freue mich sehr, hier zu sein heute.

[00:02:02.410] - Nadia Kailouli

Ich freue mich auch Pia und wir sagen, wie es ist: Du bist nicht hier in Berlin in unserem Podcast Studio, sondern wir sind zugeschaltet und das hat Gründe, Cliffhanger, kommen wir später drauf. Aber jetzt erst mal dazu, was macht Shurjoka eigentlich? Du bist Gamerin und zwar nicht irgendeine, sondern du warst Gamerin des Jahres 2023 und wir wollen heute mit dir über diese Welt reden. Aber vielleicht sagst du uns erst mal: Was macht eine Gamerin zur Gamerin? Vor allem zur Gamerin des Jahres?

[00:02:29.920] - Pia Scholz

Okay, also die erste Frage finde ich immer ein bisschen schwierig, weil ich glaube Gamer oder Gamerin kann jeder sein, der Gamer Gamerin sein möchte. Da gibt es nicht irgendwie eine Richtlinie. Wenn man gerne Computerspiele oder Konsole oder was anderes spielt, dann kann man sich da dazuzählen. In meinem spezifischen Fall war das so, dass ich nominiert wurde im Jahr 2022 und halt im 23 dann wieder und dann auch gewonnen habe für gesellschaftliche Arbeit und politische Arbeit und eben diese Brücke, die ich versuche zu bauen zwischen der Gaming-Szene und Aufklärungsarbeit, ganz besonders rund um Feminismus, aber auch queeren Feminismus, Menschenrechte, Gleichberechtigung und auch "geht in Gewerkschaften", also alles, was quasi so in die Richtung geht, um zu sagen: "Hey, Computerspiele spielen ist cool, aber wir haben auch eine reale Welt da draußen, die auch Einfluss natürlich auf die Spielewelt und auf unser aller Leben nimmt."

[00:03:19.150] - Nadia Kailouli

So, und damit haben wir nämlich die Brücke dahin geschlagen, warum Pia heute unser Gast ist. Du hast schon gesagt, du bist nämlich nicht nur Gamerin, weil du gerne Spiele spielst, sondern du hast daraus hinaus eben auch viel entwickelt, viel vorangetrieben. Du bist Content Creatorin, du bist Aktivistin und du bist vor allem aktiv auf Twitch. Vielleicht erklärst du einmal, was ist Twitch?

[00:03:38.770] - Pia Scholz

Twitch ist momentan die größte Live-Streaming-Plattform, die wir haben. Also YouTube werden wahrscheinlich die meisten kennen und Twitch kann man ein bisschen wie so dieses Äquivalent dazu betrachten, nur dass dort der Fokus nicht auf Videos liegt, die vorab aufgenommen wurden, sondern auf Livestreams. Das heißt, die Leute filmen sich dabei, wie sie unterschiedliche Dinge machen. Das hat ursprünglich mal mit einem Gaming-Fokus begonnen, aber mittlerweile gibt es auf der Plattform alles Mögliche. Also wir haben Travel-Influencer, die haben die Kamera mit, während sie mit einem Segelboot durch Kroatien segeln. Wir haben Kochstreams, politische Diskussionen, Kunst, also wirklich alles Mögliche. Es ist sehr, sehr cool und alles eben live mit einem Chat, wo man auch direkt interagieren kann.

[00:04:17.890] - Nadia Kailouli

Okay, also ein bisschen wie YouTube, nur anders, weil live.

[00:04:21.190] - Pia Scholz

Genau.

[00:04:21.610] - Nadia Kailouli

Nun hast du ja eingangs jetzt gerade schon direkt gesagt Game kann jeder, der das machen möchte. Aber du bist vor allem deswegen Gamerin des Jahres geworden, weil du eben eine Verbindung in die Welt außerhalb des Gamings bringst und die Welt außerhalb des Gamings aber auch ins Gaming reinbringst, wie zum Beispiel Themen wie Sexismus, Feminismus etc. pp. Jetzt ist die Frage warum? Also man denkt sich so warum, man spielt man doch nette Computerspiele, jeder ist nett, alle sind Buddies und die Welt ist in Ordnung.

[00:04:49.420] - Pia Scholz

Ich glaube jede weiblich gelesene Person da draußen, die schon mal Computerspiele gespielt hat aus dem, also quasi aus dem Wohnzimmer herausgehend, also Online-Games mit anderen Leuten im Internet wird Erfahrungen mit Sexismus oder auch einer ganz aktiv antifeministischen Haltung gemacht haben. Das fängt an bei, man möchte bei Spielen den Voicechat nicht benutzen, weil man blöde Kommentare bekommt, sobald die Person hört, dass man weiblich ist bis hin zu jetzt wenn wir zum Beispiel über Influencer:innen sprechen, die Spiele oder anderes streamen, eine extreme Sexualisierung, ein Aberkennen derer Fähigkeiten oder derer Intelligenz alles Mögliche. Das heißt, auch wenn du als Frau einfach nur spielen möchtest, wird das Bedürfnis zu spielen von dir zwangsweise politisiert durch andere Personen.

[00:05:36.010] - Nadia Kailouli

Das ist nicht gut. Erstmal das. Und zweitens vielleicht können wir das konkretisieren. Was wird angegriffen, dass man als Frau mitspielen will? Oder sind die Spiele per se an sich auch schon sexistisch oder antifeministisch?

[00:05:51.850] - Pia Scholz

Ich meine, wire die Frage auch schon gestellt ist, wir haben da auf jeden Fall mehrere Faktoren. Einerseits auf jeden Fall, dass man als Frau mitspielen möchte. Ich bin mittlerweile seit über zehn Jahren, zehn Jahre müssten es jetzt sein Gaming-Influencerin. Und in dieser Zeit gab es Phasen, da war es besser und es gab Phasen, da war es schlechter. Aber dieser Grundtenor ist erstmal: Die Gaming Welt ist eine sehr männlich dominierte und dass wir Frauen uns da einen Raum nehmen wollen, einen Raum einnehmen und auch vielleicht da Grenzen aufzeigen und sagen das ist unser Raum und wir wollen eben nicht, dass der durch, sag ich mal, ein maskulines Weltbild geformt wird. Das stößt auf viel Ablehnung und auf sehr viel Angriffsfläche. Also gerade in der Vergangenheit, wenn ich als Frau sehr gut abschneide bei Spielen, dann wird mir das abgesprochen, dass ich das selber schaffe. Ich wurde ganz oft gefragt, ob jemand anderer für mich gespielt hat, ob ich mich quasi boosten habe lassen. Also einen Mann spielen hab lassen, der mir mein Ranking besorgt, weil als Frau kann ich das ja gar nicht erreichen oder halt in die andere Richtung, wie du auch schon angesprochen hast, haben wir leider auch in der Spielewelt viele Spiele, die ein sexistisches Stereotyp reproduzieren. Eine sexistische, quasi ja oder auch eindimensionale Perspektive davon, wie Frauen zu sein haben. Und wenn Spiele damit aufbrechen, dann ja ernten sie da teilweise sehr, sehr krasse Anfeindungen. Ich glaube, eines der besten Beispiele ist der zweite Teil von Horizon Zero Dawn. Das ist ein sehr, sehr erfolgreicher Singleplayer mit einem weiblichen Hauptcharakter und da haben sie sich einfach nur gewagt, den Charakter im zweiten Teil- Ja, es ist einfach eine sehr schöne Frau, aber nicht so Instagram-schön, ungeschminkt quasi, man hat, weil die Programmierung so gut ist, so feine Härchen gesehen und es gab einen riesigen Rage-Shitstorm, dass das ja furchtbar ist. Und die Frau ist angeblich so hässlich. Und dann ein Dutzend Threads, wo man quasi Instagram Filter auf ihr Gesicht geknallt hat, auf diesen fiktiven Charakter, um aufzuzeigen, wie sie hätte aussehen sollen und eben nicht so, wie der Spieleentwickler gesagt hat, dass er das gerne hätte.

[00:07:53.990] - Nadia Kailouli

Jetzt ist man natürlich über diese Schilderung, die du gerade triffst, total überrascht, denn man denkt sich, hey, Moment, Pia hat doch gerade erzählt Twitch, was das alles ist. Ja so, das ist eher was Neues in unserer Gesellschaft. Das ist jetzt nicht. Wir reden jetzt hier nicht von einem Golfclub, wo man sagt, dass da noch alte Herren sitzen, die sagen: "Madame, Moment mal, haben Sie wirklich selber das Loch geschlagen oder hat jemand anders für Sie das übernommen?" Wir reden hier von einer Szene, die sehr jung ist, ja, die sehr fortschrittlich ist, gerade was die Technik betrifft. Und jetzt kommst du aber mit Anekdoten, die an ein sehr, sehr konservatives Weltbild erinnern, das zum Glück, meint man zu meinen, hinter uns liegt. Wie kann das also sein, dass gerade bei jungen Menschen in der Gaming Szene immer noch so viel Sexismus und Antifeminismus herrscht? Und dass man als Frau sich in dieser Szene erst mal beweisen muss, falls sie das überhaupt muss, aber klingt ja so, dass einem das nicht abgenommen wird, dass man das selber schafft, wie kann das sein? Das finde ich sehr überraschend.

[00:08:48.200] - Pia Scholz

Ich würde sogar so weit gehen und sagen es ist nicht nur so, dass es noch immer eine antifeministische Haltung hat. Ich habe sogar das Gefühl, die letzten Jahre wurde es wieder schlimmer. Das heißt, die antifeministische Haltung nimmt zu im Internet. Und es ist nicht nur ein Phänomen, das man in der Gaming-Szene hat, sondern generell im Internet. Ich kann nicht genau sagen, woran das liegt, aber dass diese frauen- wirklich auch frauenfeindliche Haltung extrem viel Anklang im Internet findet, sieht man ja zum Beispiel an so Phänomenen wie Andrew Tate, der wahrscheinlich den meisten Leuten was sagen wird. Er nennt sich selber "The Number One" oder "The Big G" oder so was. Muss ich nochmal genau nachschauen. Ist quasi ein Influencer, der Tiktok viral gegangen ist und gegen den ein strafrechtliches Verfahren läuft. Ich weiß nicht, ob es gerade immer noch läuft oder ob es mittlerweile durch ist, unter anderem mit den Vorwürfen des Menschenhandels und der Zwangsprostitution. Und der ist dadurch viral gegangen, dass er auf Tiktok so Clips hochgeladen hat, wo er seine Perspektive über Genderrollen quasi präsentiert hat. Also der Mann als das Alphatier, das quasi sich alles nehmen muss, was ihm zusteht und der Macher, der die Familie ernähren soll und dann so Philosophien ausgepackt hat, darüber, was der Mann alles sein muss, um ein Alpha und kein Beta zu sein. Und auf der anderen Seite halt eben die Frau als untergeordnetes Objekt der Begierde, das man ja besitzt im Endeffekt und halt für sich Halt einnimmt und das nicht wirklich als gleichwertiger Mensch betrachtet wird. Und der ist sehr, sehr viel auch durch die Medien tatsächlich getanzt, weil er so viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Durch diese Clips, die er da veröffentlicht hat. Sei es, weil Leute schockiert waren über das, was sie da gehört haben oder weil es auch einfach sehr, sehr viel Zuspruch gab und eben sehr viel dieses: "Ja, endlich sagt es mal jemand und das ist noch ein richtiger Mann. Und das ist nicht dieses Verweichlichte", so in Gänsefüßchen, was wir so haben. Und dieses Andrew Tate Phänomen hat meines Erachtens nach sehr krasse Spuren auf Social Media hinterlassen, weil auch in den Zeiten, in denen er dann weniger aktiv war, gefühlt überall kleine Andrew Tates aus dem Boden geschossen sind und eben seine Lehren weiterverbreitet haben. Und das haftet an.

[00:11:03.650] - Nadia Kailouli

Und das haftet vor allem so an, dass Frauen wie du das zu spüren bekommen. Und zwar so zu spüren bekommen, dass das unter anderem auch wirklich der Grund ist, dass du heute nicht persönlich hierher gekommen bist. Es war eigentlich der Plan, dass du zu uns kommst, aber bei dir ist viel passiert, nichts Schönes passiert und deswegen hast du entschieden, du möchtest heute zu Hause bleiben. Korrigiere mich, wenn ich was Falsches sage. Magst du einmal erzählen, wie der Hate dann auch dich erreicht hat?

[00:11:31.070] - Pia Scholz

Also ich glaube, in meinem Fall ist das noch mal, geht das noch ein bisschen über das Andrew Tate Phänomen hinaus. Es wäre zu simplifiziert, das so zu bezeichnen. Aber in meiner Situation ist es so, dass ich seit zwölf Monaten mittlerweile, bald 13 Monaten, ja, wir haben schon Februar quasi zum Fokus von einer antifeministischen Hasskampagne geworden bin und die Anfeindungen, die im Internet stattfinden, in großen Massen mein Privatleben soweit erreicht haben, dass ich nicht mal mehr in den Supermarkt gehen kann, ohne Angst haben zu müssen, dass ich dort abgefangen werde. Es gab jetzt in den letzten Wochen Situationen, wo eben männliche Zuschauer von eben Menschen, die ein Problem mit mir haben, auf Parkplätzen gewartet haben, bis ich aus dem Supermarkt komme und versucht haben, da irgendwie mich abzufangen, vermutlich um mich anzupöbeln. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass die alle irgendwie gefährlich sind, sondern eher in diesem Troll-Phänomen des Internets mit "Ah man kann da ja mal hingehen und mal ein bisschen pöbeln." Ja, und letztes Jahr waren die Ausmaße sehr, sehr, sehr groß, sage ich mal, ganz vorsichtig betrachtet, bis hin zu, dass ich vorgewarnt wurde von einigen Stiftungen, dass mein Name auch in Telegram-Gruppen von Neonazis geteilt wurde, weswegen ich dann auch sämtliche Events absagen musste. Das heißt, ich konnte nicht zur Gamescom, ich konnte nicht zu DreamHack, weil mir einfach ganz klar gesagt wurde: "Okay, wir können es nicht einschätzen. Es sind so so viele Menschen, die da wütend gerade reagieren und es reicht halt eine Person, die sich nicht unter Kontrolle hat." Und wir hatten dann erst mit den Veranstaltern auch von der Gamescom darüber gesprochen, dass mir Security gestellt wird und die waren da super zuvorkommend. Kann man echt gar nichts sagen. Ich habe mich dann aber letztendlich entschieden, dass es mir zu riskant ist, auch mit meinen Mitarbeitern und auch mit den Menschen in meinem Umfeld dann mit Security auf ein Event zu gehen, wo so viele Menschen sind, während gerade so konkret Gewaltphantasien mir gegenüber im Internet geäußert werden.

[00:13:30.350] - Nadia Kailouli

Puh, und da muss man erst mal durchatmen. Ich meine, das ist nicht Ohne, was du da erzählst, Das ist harter Tobak und das ist nicht nur angsteinflößend, sondern vor allem auch gefährlich. Wie ist es dazu gekommen? Kannst du das erklären, was passiert ist, damit man dich so anfeindet? Also ohne um jetzt irgendwie zu sagen: "Ach, was hat sie denn gemacht? Dafür gibt es eine Rechtfertigung." Das meine ich gar nicht. Es gibt für nichts eine Rechtfertigung, dass Menschen einen bedrohen und Angst machen und auflauern. Aber was war für diese Leute der Auslöser, dass sie dich so als Zielscheibe dann genommen haben?

[00:14:03.800] - Pia Scholz

Hogwarts Legacy.

[00:14:06.260] - Nadia Kailouli

Das ist ein Spiel, oder?

[00:14:07.970] - Pia Scholz

Das ist ein Spiel.

[00:14:09.080] - Nadia Kailouli

Okay, und dann. Was ist da passiert?

[00:14:11.780] - Pia Scholz

Tatsächlich ist es so, ich habe ja vorhin schon erwähnt, dass ich sehr viel Aufklärungsarbeit zu feministischen Themen mache und auch zu intersektionalen feministischen Themen. Und letztes Jahr Anfang des Jahres wurde das Spiel Hogwarts Legacy announced, das aus dem Harry Potter Franchise kommt. Und ich habe auch schon davor, also das muss man an dieser Stelle sagen, ich habe auch schon zwei Jahre davor angefangen, Aufklärungsarbeit zu den transfeindlichen Äußerungen von J.K. Rowling zu machen, weil entgegengesetzt. Also im internationalen Raum habe ich das Gefühl, herrscht sehr viel mehr Aufklärung und Wissensstand darüber, was J.K. Rowling so generell an transfeindlichen Dingen sagt, aber im deutschsprachigen Raum halt leider gar nicht. Und ich hatte dann angefangen, darüber halt Aufklärungsarbeit zu machen. Und mit dem Hype des Spiels Anfang des Jahres hat meine Kritik J.K. Rowling gegenüber und auch mein Boykottaufruf sehr viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ich sonst bekommen würde. Das heißt, es ging sehr, sehr weit über die Ufer meiner eigenen Reichweite hinaus und hat Menschen erreicht, die sonst nicht wirklich was mit mir zu tun haben. Und ich glaube, einer der prägendsten Aspekte war, wir haben im Livestream, eine Literaturkritik gemacht, wo wir im Endeffekt so von Band eins bis Band acht uns Sachen angeschaut haben und aufgearbeitet haben, okay, warum könnte das problematisch sein? Oder wo merkt man das eine gewisse Queerfeindlichkeit halt auch reingeschrieben wurde? Und ich habe in diesem Kontext habe ich Hagrid kritisiert und gesagt, ich finde Hagrid ist eigentlich gar nicht so ein cooler Charakter, wie wir den in Erinnerung haben. Und dieser Clip wurde halt irgendwie so eine Minute davon zusammengeschnitten, also ohne den Kontext vorher, ohne den Kontext, nachher und wurde auf Tiktok hochgeladen von einer anderen Person, keine Ahnung von wem. Und das ging dann auf Tiktok viral. Hat 100.000, ich weiß nicht, ob es mittlerweile Millionen Aufrufe generiert und der Tenor war quasi: "#freeHagrid", und, "Wie kannst du es wagen?", und, "cancelt sie! Sie hat Hagrid kritisiert!", und, "Kann doch nicht wahr sein. Das ist doch nur ein Buch. Warum nimmt sie uns unser Kinderbuch weg?", bis hin zu, "sie soll sich töten gehen!" Weil ich gesagt habe, ich finde Hagrid nicht so cool.

[00:16:16.930] - Nadia Kailouli

Aber das ist doch absurd. Also mal ehrlich. Also, ich meine, weißt du, es ist jetzt so, mein Verständnis für jemanden anfeinden hat, also es gibt für mich nichts, was es rechtfertigt, aber in den Köpfen mancher Gamer vielleicht zu sein oder Typen, die das ja vor allem auch schreiben, dachte ich gerade, jetzt kommt die Story. Jetzt hast du denen gesagt: "Hier, Leute, also ich möchte hier Standards haben. Ich möchte, dass ihr alle gendert." Keine Ahnung. Irgendwas, wo man sagt: "So, ne, jetzt reichts, lass uns unsere Gaming Szene." Keine Ahnung, würde es trotzdem nicht rechtfertigen. Aber du hast einfach nur ein Spiel kritisiert als Gamerin und bis zur Zielscheibe von wirklich vielen Menschen gekommen. Und an dir lässt man richtig Hass raus bis dahin, dass du Angst haben musst, nicht nur hast, sondern musst. Das wird dir sogar geraten, aufzupassen, wenn du irgendwo hingehst, dass da eventuell Leute sind, die sich nicht unter Kontrolle haben. Das ist doch verrückt.

[00:17:08.860] - Pia Scholz

Was soll ich dir darauf antworten?

[00:17:10.150] - Nadia Kailouli

Da kannst du gar nichts drauf antworten. Ja, aber wie gehst du damit um? Du bist jetzt so, weißt du? Ich meine, ich sehe dich gerade über den Bildschirm, weißt du, du, wir kennen uns nicht. Wir sehen uns heute das erste Mal, fair enough, aber du wirkst entspannt. Du wirkst nicht irgendwie traumatisiert oder so. Du sitzt da, erzählst das, hast Ahnung von dem, worüber wir sprechen, aber das muss ja was mit dir machen.

[00:17:30.920] - Pia Scholz

Das ist natürlich ein sehr großer Einfluss auf meinen Alltag und auf mein Leben. Das ist ja, glaube ich eh klar, dass das einen großen Einfluss nimmt. Aber es geht halt auch jetzt seit einem Jahr. So, wenn das seit einem Jahr geht, dann ist irgendwann die Luft raus mit panisch sein, weil irgendwie muss der Alltag ja weitergehen. Ich glaube, ich glaube, die große Problematik, eben weil du vorhin das eben gesagt hast, war, dass wir momentan in einer Zeit sind, in der sehr, sehr viele Menschen Angst davor haben, dass man ihnen was wegnehmen möchte. Ich glaube, diese Gefahr von: "Jetzt plötzlich wird alles verboten und dann darf ich gar nichts mehr. Und das ist ganz, ganz, ganz schrecklich. Weil alles wird so kompliziert und so schwierig." Und ich glaube, dass viele Menschen sich wirklich einfach an diesem Boykottaufruf von mir gestört haben, weil ich halt ganz klar gesagt habe: "Hey, ich finde es nicht gut, wenn wir dieses Spiel spielen." Und ich habe insbesondere an meine Kolleginnen diesen Appell gerichtet und gesagt: "Wenn ihr das Spiel spielt, dann macht es doch zumindest nicht im Stream, weil damit macht ihr dann auch noch Werbung dafür." Und ich glaube, gerade dieses: "Jetzt, weil sie uns das verbieten und jetzt müssen wir das boykottieren", ist das, was bei vielen Menschen dann sehr, sehr sehr sehr viel Wut ausgelöst hat, weil sie gesagt haben: "Boah, ne. Ich lass mir meine Kindheit jetzt nicht auch noch verbieten."

[00:18:42.860] - Nadia Kailouli

Jetzt ist es aber nicht so, dass man sagt: "Ja, die ist doof, die will uns unsere Kindheit verbieten, unser super Spiel madig machen", sondern es geht weiter. Du erlebst richtig Frauenhass. In welcher Form erlebst du den? Was schreiben dir die Leute?

[00:18:55.700] - Pia Scholz

Boah, was schreiben mir die Leute? Das sind alles Mögliche an Sachen. Also es fängt bei Kleinigkeiten an wie: "Geh halt in die Küche", und, "warum sitzt du vorm PC? Geh zurück in die Küche, da wo du hingehörst." Was ganz, ganz viel gemacht wird, ist quasi sexistische Schimpfworte zu reproduzieren. Das heißt ganz viel- Ich weiß nicht, inwiefern ich hier in diesem Podcast Schimpfwörter reproduzieren darf.

[00:19:16.670] - Nadia Kailouli

Alles, du darfst hier alles sagen.

[00:19:19.310] - Pia Scholz

Also ganz viel in Richtung ja, "Schlampe", oder "blöde Hure", oder "Fotze". Also alles was halt in die Richtung geht, was man an einfach, ja sexistischen Bezeichnungen halt einfach kennt. Dann habe ich eine ganz krasse Erfahrung dieses Jahr machen müssen mit Menschen, die ganz konkret sexualisierte Gewalt an mir beschrieben haben. Also wir haben mittlerweile drei Subreddits schließen lassen, die eröffnet wurden, mit dem Ziel, darin, sich darüber auszutauschen, wie man mich vergewaltigt oder mir generell sexuelle Gewalt antut. Auch mit dem gezielten Aufruf: "Macht das! Also schreibt gerne so hart wie möglich, weil das ist das, was wir lesen wollen." Und ich glaube, dass, womit ich persönlich am meisten zu kämpfen habe, ist eine konstante Pathologisierung meiner Person. Also es erinnert mich sehr, sehr krass an frühere so Hysterie-Gespräche, in denen man kritischen Frauen oder lauten Frauen dann einfach Hysterie unterstellt hat, um sie damit zu silencen. Das heißt ganz, ganz viele Videos, die gegen mich gemacht werden oder ganz, ganz viele Kommentare, die sich gegen mich richten, versuchen darauf abzuzielen, mich als psychisch krank, als psychisch unzurechnungsfähig oder als psychisch gestört darzustellen. Und das heißt, es gibt Thumbnails, wo man mich irgendwie in Zwangsjacke zeigt oder Fotos, die gephotoshopped werden, wo ich irgendwie in so einem in so einer Gummizelle sitze. Dann gibt es einen Influencer, der hat mich auf von Family Guy auf so eine Szene mein Gesicht draufgephotoshopped, wo eine Person in der Serie in einem Rollstuhl sitzt, die nicht psychisch ansprechbar ist und es wird halt alles so ein bisschen. Also wenn man die Leute dafür kritisiert, dann ist alles immer ein Witz. Das heißt, die Leute wollen die Kritik nicht annehmen dafür, dass das Saneismus ist oder Ableismus ist. Und auch einfach, ich persönlich würde es als frauenfeindlich bezeichnen, weil für mich diese Herleitung zur Hysterie einfach ganz klar ersichtlich ist. Aber es wird halt einfach quasi als Witz verkauft, auch wenn irgendwie immer nur die gleichen Lachen drüber und man ist sich auch, also auch wenn Menschen damit konfrontiert werden, warum das falsch ist oder warum das problematisch ist, dann wird es halt nicht nur belächelt, sondern es wird richtig krass zelebriert. Und du merkst auch das, wenn du sagst: "Hey, das ist nicht gut, dass ihr das macht!", dass sie dann ganz gezielt anfangen, das noch weiter zu machen, als wäre das quasi so ein Ritterschlag. So ein: "Ja, cool, ich diskriminiere gerade eine Person und die beschwert sich darüber, dann mache ich das jetzt erst recht." Und dann wirklich so eine Hype Kultur darum entsteht so wer kann das ekelhaftere Thumbnail basteln? Wer kann das ekelhaftere GIF machen? Und sich dann quasi gegenseitig darin so so bestärkt wird. Und das war eine wilde Erfahrung zu erleben, dass auch erwachsene Menschen mit Klarnamen im Internet, also dass sie sich halt auch, dass es ihnen nicht peinlich ist, sich so zu benehmen und sich dafür auch nicht schämen, sondern auch noch gegenseitig dafür zelebrieren. Das ist unangenehm.

[00:22:10.820] - Nadia Kailouli

Wenn du sagst, mit Klarnamen gehst du dann auch juristisch dagegen vor, Also zeigst du die an oder wie gehst du damit um?

[00:22:18.740] - Pia Scholz

Tatsächlich ist es in Deutschland unfassbar schwer, juristisch gegen so etwas vorzugehen, weil ganz, ganz, ganz viel einfach unter Meinungsfreiheit läuft. Also ich habe auch dieses Jahr ganz viel gelernt darüber, was alles rechtlich gesehen Meinungsfreiheit ist. Wo ich mir gedacht habe, das kann doch, also das kann doch nicht wahr sein. Wie kann denn so eine offensichtliche Rufschädigung und so eine falsche Tatsachenbehauptung unter freie Meinungsäußerung gehen? Aber es ist so. Und ein großer Teil eben dieser Thumbnails oder auch dieser Bezeichnungen ist in Deutschland völlig unabhängig davon, ob das jetzt moralisch nachvollziehbar ist oder nicht, entweder von der Kunstfreiheit gedeckt oder einfach wirklich, ja, wenn, wenn der dich öffentlich darstellen möchte, als wärst du psychisch gestört, dann ist das seine freie Meinungsäußerung, das zu tun und das Recht nimmt da nicht wirklich darauf Rücksicht, dass meine Würde und mein Recht komplett davon torpediert wird im Endeffekt, dass mich Menschen als psychisch gestört darstellen. Und ich finde es, also ich finde gerade eben diese Pathologisierung finde ich auf so einem eigenen Level unfassbar problematisch, weil wir ja wirklich auch in unserer Welt noch so viel mit Klischees zu kämpfen haben, was psychische Erkrankungen angeht und ich selber auch sehr, sehr offen damit umgehe, dass ich zum Beispiel eine Depression diagnostiziert bekommen habe vor Jahren. Und wenn ich dann merke, dass halt vor allem auch Influencer mit junger Zielgruppe so vorleben, dass psychische Erkrankungen etwas sind, worüber man sich lustig macht, was man in den Dreck zieht oder wo man Menschen dann ihre, ja ihre Zurechnungsfähigkeit einfach abspricht, dann ist das meines Erachtens nach ein sehr problematischer Trend, weil wir versuchen ja eigentlich eher Verständnis für Krankheiten zu lernen und nicht uns anhand von irgendwelchen erfundenen Krankheiten, die es dann im besten Fall noch gar nicht gibt, über Menschen lustig zu machen.

[00:24:08.050] - Nadia Kailouli

Na ja, und das Ding ist die nächste Stufe ist ja, wenn man so angefeindet wird und so an den- zu Unrecht an den Pranger gestellt wird, entblößt wird, diskriminiert wird, dass das ja vor allem auch zu einer psychischen Krankheit führen kann.

[00:24:20.380] - Pia Scholz

Auf jeden Fall.

[00:24:21.580] - Nadia Kailouli

Also das mal noch zusätzlich erwähnt. Und du hast diese Thumbnails geschildert, die die Nachrichten, die dich erreicht haben und so. Und zusätzlich, wenn ich mich nicht täusche, hat man auch dein Gesicht in einen Deepfake-Porno reingearbeitet. Vielleicht kannst du einmal kurz erklären, was das ist. Oder soll ich das erklären? Ist mir-

[00:24:40.210] - Pia Scholz

Es gibt quasi Technologie mit der ja oder Mittlerweile macht man es mit AI. Das bedeutet im Endeffekt ist es ein Programm, wenn du da in das Programm ein, zwei, desto mehr Fotos du hast, desto besser, einspeist, dann schneidet dir das Programm, simplifiziert das Gesicht einer Person auf den Körper einer anderen. Das heißt gerade seitdem seit AI letztes Jahr so einen großen Boost bekommen hat, ist es halt so, dass immer mehr, vor allem Frauen, nicht nur, aber vor allem Frauen Pornos einfach mit sich selbst finden. Mit ihrem Gesicht darauf, wo einfach durch ein Programm das Gesicht drauf geschnitten wurde, auf den Körper einer anderen Person, um eben ja sexuelle Gewalt im Internet an Frauen auszuleben. Im Endeffekt ist es ja letztendlich das. Wir wissen ja, dass sexualisierte oder auch sexuelle Gewalt selten was nur mit der Fetischisierung, also ich mein auch zu tun hat, aber vor allem auch mit einer gewissen Machtdemonstration und eben diesem sich über einen Menschen erheben und quasi den zu entblößen und unter sich zu drücken. Und ich merke schon, dass eben diese Sexualisierung, die mir gegenüber stattfindet, primär nur von Männern ausgeht. Also ich bekomme auch vereinzelt Kommentare, von wo ich erkenne, dass Accounts halt weiblich sind. Die sind aber in ihrer Art oftmals anders. Es gibt wirklich ganz, ganz wenige weiblich gelesene Personen, die ich zumindest erkenne, die da mit draufhauen. Und gerade eben diese, diese Fantasien, die dann in diesem sexuellen Kontext stattfinden, sind einfach, man merkt, dass das Bedürfnis dahinter ist, einfach jemanden zu verletzen, Schaden anzurichten und sich da drüber zu stellen und ja Macht auszuüben. Und ich habe noch nicht versucht, gegen Deep-I-Pornografie vorzugehen, weil ich, um ehrlich zu sein, noch nicht wirklich scharf darauf bin, rauszufinden, inwiefern die Justiz in Deutschland, was das angeht, hinterher ist. Ich glaube, das wird der nächste Erschütterungspunkt werden.

[00:26:43.210] - Nadia Kailouli

Ja, das ist nämlich das ist nämlich das. Also ich will nur ganz kurz übersetzen für die Hörer:innen, die AI oder AI jetzt nicht direkt zusammenbekommen. Auf Deutsch ist es die KI, die künstliche Intelligenz, die da unter anderem ein Instrument ist, eben diese Deep-Fakes herzustellen. Deep-Fake haben wir ja schon mal gehört. Die eine Sache ist ja, ich hatte dich gerade gefragt, wie gehst du juristisch dagegen vor? Kannst du das überhaupt, wenn du die Klarnamen hast? Jetzt sagst du selber, das ist so wahnsinnig schwierig, weil Meinungsfreiheit, dies das. Aber wie reagieren denn die Plattformen? Also wie reagiert denn Twitch selber? Wie reagiert denn Tiktok? Also kannst du da auf Hilfe hoffen? Gibt es da eine Form, das anzumelden, anzuzeigen, zu sagen: "Hier sperrt die oder schreibt den eine Verwarnung!", oder so? Wie läuft das auf diesen Plattformen.

[00:27:30.720] - Pia Scholz

Also offiziell ist all das verboten. Also sowohl die Thumbnails als auch die Beleidigungen, als auch die Bedrohungen, als auch der Rufmord, den es ja so im juristischen Sinne in Deutschland nicht gibt. Die Plattformen haben dafür eigentlich alle Regelungen. Aber. Also Twitch hat irgendwie gerade erst vor eineinhalb Monaten 500 Mitarbeiter entlassen und man merkt das, also vom Feeling her niemand bei Twitch mehr arbeitet, der sich um sowas kümmert. Ich bin seit zwölf Monaten in direktem Austausch und in direktem Kontakt mit Mitarbeitenden. Also ich hatte eine Twitch-Managerin. Das ist üblich ab einer gewissen Größe, dass man als Influencer:in einen Manager oder eine Managerin hat von Twitch, die als Ansprechperson agiert, bei der man sich für Sachen melden kann, sind normalerweise nicht nur negative Dinge, sondern auch für positive Projekte. Und da hatte ich halt eine Ansprechpartnerin, die es zu einer anderen Plattform gewechselt. Das heißt, danach habe ich dann einen anderen Ansprechpartner bekommen. Und ich glaube, ich habe in den letzten zwölf Monaten sicher 70 Reports gemacht auf Twitch. Also wirklich etwas, was ein ganz klarer Regelverstoß ist, auch Dinge, die unter, die strafrechtlich relevant sein könnten. Habe die gemeldet, habe genau angegeben: "Okay, da ist das und das passiert. Das ist problematisch, weil..." Und habe immer das Feedback bekommen: "Ja, wir geben das weiter." Und dann ist nichts passiert. Also wir hatten einen Bann quasi, der ausgesprochen wurde in zwölf Monaten, gegenüber einem Nutzer und das sind ja ein Dutzend und es geht ja auch seit zwölf Monaten und das sind irgendwie 70 Regelverstöße, das heißt, die Plattformen ja, sind halt da. Aber ich glaube, solange halt Rechtsprechung Plattformen nicht dazu zwingt, was zu tun.

[00:29:11.550] - Nadia Kailouli

Es ist halt so, es ist erschütternd und absurd so, weil es ja ein Raum ist von Millionen Menschen. Das ist ja nicht so, dass da irgendwie zehn Gaming-Freaks irgendwie sich mal treffen und dann benehmen sich halt sieben daneben oder so, sondern wir reden hier von einem Raum von Millionen Menschen, die sich auf diesen Plattformen sei es jetzt Tiktok, Twitch, YouTube, keine Ahnung bewegen und dass es dafür keinen Rechtsrahmen gibt, wie man sich dann wirklich zu verhalten hat. Und wenn du jetzt sagst, du hast 70 Reports gemacht und heute aber nicht hierherkommen kannst, weil es hört nicht auf. Es ist einfach für dich gerade keine leichte Situation und das ist wirklich ja noch zu minder ausgesprochen, ist es doch erschreckend, dass wir in diesen Online-Formaten in einem so unsicheren Raum, ja in so einem nicht geschützten Raum unterwegs sind. Stellst du selber dir die Frage, willst du das noch machen? Willst du da noch Teil davon sein?

[00:30:05.580] - Pia Scholz

Ich sehe nicht wirklich eine andere Möglichkeit, weil ich meine, wenn ich jetzt sagen würde: "Okay, hinter mir die Sintflut. Scheiß drauf!", dann werde ich ja im Endeffekt nur zur Bauanleitung dafür, wie man politische Frauen aus dem Internetraum verdrängt. Das ist schon etwas, worauf man halt, oder wo ich schon eine Verantwortung empfinde, auch dahingehend zu sagen, okay, wenn ich mich als Person politisch äußere und auch kontroverse Themen starte, ich meine, es ist ja auch ein bisschen absurd, dass diese Themen überhaupt als kontrovers wahrgenommen werden, aber werden sie offensichtlich, dann sehe ich das schon für mich auch irgendwo als eine Verantwortung mit der Reichweite und mit den Möglichkeiten, die ich als Influencerin habe, da halt auch ein bisschen, sage ich mal, dran zu bleiben und sei es nur wie jetzt seit Monaten weiter zu streamen, auch wenn ich die Sachen großteils nicht thematisiere. Weil ich mir halt überlege, ich meine, das ganze letzte Jahr war karrieretechnisch für mich eine Katastrophe. Darüber brauchen wir gar nicht reden. Ich habe auf allen Plattformen massiv Reichweite verloren. Ich habe sehr, sehr viele Follower verloren. Ich habe massive finanzielle Einbußen gemacht. Aber trotz allem gehöre ich immer noch zu den größten weiblichen Twitch-Streamerinnen, die wir in Deutschland haben. Ich glaube, das aktuelle Ranking, das im Januar kam, hat mich sogar auf Platz drei oder Platz vier gesetzt. Und dann denke ich mir, okay, wenn jemand mit meiner Reichweite, mit meinen finanziellen Möglichkeiten und mit meiner Vernetzung da nicht dagegen ankommt oder nicht zumindest bestehen bleiben kann, dann kann ich ja auch von keiner anderen Frau erwarten, dass sie in der Situation dann nicht einfach sagt: "Okay, ich verpiss mich jetzt, weil es wird halt zu viel." Ich weiß nicht, ob du Anwalt Jun kennst oder Jun, ich weiß leider nicht genau, wie man es ausspricht, der hatte gerade erst gestern auf Twitter geteilt oder auf X mittlerweile geteilt, dass im Internet die Person überdauert, die, also sinngemäß hat er gesagt, die Person überdauert, die am meisten Hass aushält und am meisten Hass austeilen kann, aber dass das ja nicht zielführend sein kann, weil wenn das unsere Prämisse ist, dann bedeutet das ja, dass Menschen, die eben nicht Hass verteilen und nicht das aushalten können, sich immer weiter zurückziehen und immer stiller werden und den Raum dadurch halt immer mehr denen überlassen, die halt den ganzen Tag nichts anderes machen, außer Hass zu verbreiten. Und das sehe ich schon sehr krass in meinem Fall. Also ich sehe schon sehr krass, wie Kollegen und Kolleginnen von mir auch kleinere Content Creator:innen immer leiser werden und immer vorsichtiger werden mit dem, was sie noch sagen, viele auch zum Streamen aufgehört haben. Es hat auch eine langjährige Kollegin von mir, die ich schon sehr lange auch beobachtet habe, jetzt auch angekündigt, sich komplett zurückzuziehen, weil sie sagt, sie will einfach nicht mehr, es ist einfach zu viel. Und im Gegensatz dazu sprießt gefühlt jeden Monat ein neuer "Anti Shurjoka - Ich mache jetzt auch Content, weil ich einen Thumbnail mit dir basteln möchte"-Account quasi aus dem Boden. Und die werden halt auch immer lauter und immer aggressiver und immer unangenehmer. Und diesen Shift, sag ich mal, den merkt man meines Erachtens nach sehr, sehr krass. Und ich habe auch das Gefühl, dass wenn es vielleicht am Anfang des Jahres, den Anfang letzten Jahres noch irgendwie den Versuch gab, den Hass gegen mich irgendwie in Argumente zu gliedern, auch wenn sie teilweise sehr absurd waren. Also da war zum Beispiel ich habe ja den Deutschen Computerspielpreis gewonnen und dann wurde mir das aberkannt. ich hätte den quasi nicht gewinnen dürfen unter Gänsefüßchen, weil sie eine Statistik gefunden haben, die besagt: "Ja, du hast letztes Jahr irgendwie 52 % Justchatting gemacht und nur 48 % Gaming. Deswegen darfst du dich nicht Gamerin nennen und du hast den Preis deswegen nicht verdient und jetzt hassen wir dich deswegen." Wo ich mir auch denke so holy Shit, das fühlt sich wieder an wie in der Schule, so du bist 14 Jahre alt und der Dude nebenan sagt: "Nein, du darfst nicht mit mir Nintendo spielen, weil du bist ein Mädchen!" So, das ist halt, okay? Aber das baut sich halt auf solchen absurden Dingen an und wenn man am Anfang des Jahres noch das Gefühl hat, okay, zumindest war der Versuch da, es irgendwie schönzureden, warum das passiert, so ist mittlerweile echt ein Punkt erreicht, an dem Leute wirklich einfach nur noch sauer sind, weil sie sauer sind und dann beziehen sie sich halt auf ihre eigene erfundene Lore. Das heißt sie hassen mich, weil sie haben ein Video gemacht, indem sie mich hassen, weil sie haben ein Video gemacht, indem sie mich hassen. Und dann sitzt du halt am Ende dieser Schleife und bist so an welchem Punkt in dieser gesamten Geschichte, die du dir aufgebaut hast, weswegen du mich gerade so hasst, habe ich eigentlich mal jemals einen aktiven Part davongetragen? So, und diese Wut und dieser Hass, wenn ich nicht da bin, dann entlädt der sich auf anderen Personen. Das heißt, ich habe auch gemerkt, ich hatte-

[00:34:41.080] - Nadia Kailouli

Ja, aber du kannst ja nicht stellvertretend zu einer Hassfigur werden, weil irgendwelche-

[00:34:44.650] - Pia Scholz

Das ist ja schon passiert.

[00:34:46.090] - Nadia Kailouli

Ja eben, aber das ist ja, das ist ja verrückt. Aber wie ist das denn mit der Solidarität? Also hast du. Du hast mit Sicherheit deine Unterstützerinnen und Unterstützer, also will ich mal hoffen in der Community, so wie reagieren die? Warum können die- oder nicht warum, das will man nicht als Schuld machen, aber ja, wie reagieren die einfach?

[00:35:03.040] - Pia Scholz

Also ich bekomme sehr sehr sehr viel Solidarität. Vor allem was mich sehr gewundert hat, auch sehr viel außerhalb der Influencer:innen-Szene. Ich habe ja viele Monate gar nicht über die Sachen gesprochen und dann Anfang Dezember das einmal wirklich größer thematisiert und hab dann auch jetzt wieder, war ich einen Monat wieder komplett weg und es hat auch in dem Monat, in dem ich komplett weg war, also ich glaube nicht, dass meine Hater überhaupt mitbekommen haben, dass ich nicht da war. Das ist sehr lustig, das immer zu sehen. Und als ich das im Dezember thematisiert habe, haben sich ganz viele Leute mit mir solidarisiert, auch ganz viele Journalistinnen, quasi Autorinnen. Es haben sich Politiker:innen solidarisiert. Das wurden ein Haufen Zeitungsartikel auch geschrieben aus zwei unterschiedlichen Ländern, sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Weil ich bin ja eigentlich gebürtige Österreicherin. Das ging bis zu den Öffentlich-Rechtlichen und wenn auch nicht jeder dieser Zeitungsartikel meines Erachtens nach so gut recherchiert war und viele Dinge außen vorgelassen hat, war der Tenor, den sie alle doch irgendwie gemacht haben, sehr klar: "Okay, das ist eine antifeministische Hasskampagne und das hat nichts mit irgendwie Kritik oder sonst was zu tun." Daraufhin wurde die Geschichte aufgebaut, dass ich diese Artikel angeblich alle selber schreibe.

[00:36:14.170] - Nadia Kailouli

Also sie finden immer, deine Hater finden immer was Neues.

[00:36:16.840] - Pia Scholz

Ja, ja, ich bin jetzt, ich arbeite jetzt quasi offiziell für 14 unterschiedliche Zeitungen aus zwei Ländern und schreibe all diese Artikel unter Pseudonym selbst. Es ist wirklich sehr bizarr und ich habe das Gefühl, dass auch Kolleginnen, die sich mit mir solidarisiert haben, teilweise auch öffentlich selber sehr überfordert sind damit, die Ausmaße zu begreifen. Ich glaube, die meisten Menschen, wenn sie so was hören, sind sehr stark in diesem: "Ja, aber da muss ja auf beiden Seiten was sein. Also zu einem Streit gehören ja immer zwei. Ich meine, was hast du denn gemacht?" So, und dann erzählst du so: "Ja, ich habe den Deutschen Computerspielpreis gewonnen und ich finde Hagrid scheiße." Und dann sind die so: "Ja, aber. Das kann ja nicht alles gewesen sein."

[00:36:55.710] - Nadia Kailouli

Ja, man sucht die ganze Zeit so eine Antwort. Obwohl keine Antwort ist eigentlich recht. Das ist ja das Absurdes. Das habe ich ja eben am Anfang auch gesagt: "Was hast du denn gemacht?", ja übersetzt, "Was hast du denn verbrochen?" Das ist eigentlich totaler Quatsch. Es ist total scheiße, aber so funktioniert ja unser Denken: "Naja, irgendwas muss sie ja gemacht haben, damit sie, damit sie überhaupt die Hater bekommen hat." Und dazu muss man sagen, egal was sie gemacht hat, es rechtfertigt nicht das, was da passiert. Das ist ja das Schlimme. Um noch mal persönlich zu dir zu kommen, wie passt du auf dich auf? Das ist ja schon eine ganz schöne Packung, die du da seit Monaten, fast einem Jahr oder knapp über einem Jahr jetzt mit dir mitträgst.

[00:37:29.700] - Pia Scholz

Ich bin in Therapie gegangen. Das war einer der ersten Dinge, die ich gemacht habe, weil ich halt auch gesagt habe, also es haben sich Menschen mit mir solidarisiert. Ich habe mich aber auch natürlich viele Monate gefragt Ja, aber warum nicht mehr? Warum nicht sonst was? Bis ich dann irgendwann realisiert habe, dass die meisten Kolleginnen von mir, die sich mit mir solidarisiert haben, aber die mir dann vielleicht teilweise auch nur privat geschrieben haben, selber teils mit den gleichen, sag ich mal, Problemschaffern, schon Probleme hatten, mit denen ich Probleme habe. Und deswegen halt auch diese Angst war von wegen: "Ich will nicht selber auch wieder in diese Scheiße reingezogen werden." Und ich glaube, eine große Problematik, die halt an dieser Stelle halt ist, ist für Influencer ist Reichweite die wichtigste Währung, die es gibt. Das heißt, desto mehr Reichweite du hast, desto mehr Geld verdienst du, desto mehr Appreciation bekommst du, was auch immer. Und deswegen musste ich irgendwann auch einfach lernen und für mich selber auch, meine Therapeutin sagt immer "radikale Akzeptanz", verstehen und begreifen, dass ich jetzt quasi gerade für Personen der Weg dahin bin sehr leicht, sehr simpel, viel Reichweite aufzubauen. Das heißt, wir haben. In meinem Fall haben wir ein Dutzend männlicher Content Creator, die gar keinen Erfolg hatten, bevor sie über mich gesprochen haben, also die irgendwie auf Twitter so 15, 20 Zuschauer hatten. Und kaum fangen sie an, Anti-Content zu machen, haben sie 600, 700 Zuschauer. Und das heißt, das ist für sie einfach was super Lukratives zu sagen: "Boah, ich arbeite mich an dieser Frau ab und im Zweifelsfall erfinde ich einfach eine Vorgeschichte mit ihr, obwohl die gar nicht herrscht. Hauptsache, ich habe was, worüber ich reden kann." So habe ich zum Beispiel Clips gefunden von Personen, insbesondere von Männern, deren Gesicht habe ich noch nie gesehen. Und dann wurde mir im Sommer ein Clip in die Timeline gespült, wo dann so ein Dude da steht und sagt: "Ja, also ich habe ja auch schon ganz viel Kritik zu Shurjoka gemacht und da wo ich sachlich war, das hat sie am meisten aufgeregt. Da hat sie mich dann, da war sie richtig besessen von mir." Und ich saß halt da und hab egdacht, ich habe keine Ahnung, wer du bist. Ich sehe dein Gesicht gerade zum Ersten Mal. What the fuck?

[00:39:40.230] - Nadia Kailouli

Aber kannst du dir erklären, woher diese Enthemmung kommt? Also zu solchen Mitteln zu greifen?

[00:39:47.100] - Pia Scholz

Weil es keine Konsequenzen gibt für gar nichts. Wenn du solche Dinge immer wieder machen und sagen kannst und es gibt keine Konsequenz, die sich daraus zieht, dann ist es im Endeffekt immer mit jedem, ich sage immer, mit jedem Fall und ich bin gerade der aktuelle Fall, lernen eben die Akteure in solchen Kampagnen: Wie weit kann ich noch gehen? Wie weit kann ich noch gehen? Wie weit kann ich noch gehen? Und gerade weil wir halt im Internet sind, wo es halt um diese krasse Sensationsgeilheit geht und dieses: "Ich muss immer noch einen draufsetzen, ich muss immer noch die krassere Geschichte erzählen, ich muss immer noch die größere Schlagzeile bekommen, weil gestern hatte ich 700 Zuschauer, morgen möchte ich 800. Nächsten Monat möchte ich 1500." Ist das quasi so ein self fulfilling process, dass du dich halt selber immer weiter steigerst und immer weiter guckst: "Okay, wie weit geht halt noch? Damit ich damit auf jeden Fall weitermachen kann und das halt dafür keine Konsequenz gibt." Und wir haben juristisch gesehen in Deutschland nicht wirklich eine Antwort auf dieses Phänomen gerade. Weil eben so viel unter freie Meinungsäußerung läuft, was eigentlich schon so, ja so einschneidend ist in das Leben von den Betroffenen, von den Opfern, von so einer Situation, dass eigentlich das was erwartet wird, was man aushalten muss, sag ich mal, in einem Ausmaß ist, das ich, also mein Leben hat gestoppt vor zwölf Monaten. Ich musste quasi lernen, für mich wieder neu mir ein eigenes Leben aufzubauen und mit radikaler Akzeptanz einfach anzunehmen, dass meine Lebensrealität jetzt daraus besteht, dass ich nicht allein zum Supermarkt gehen kann, dass ich nicht in ein Restaurant gehen kann, weil wenn ich ein Restaurant essen gehe, dann wird am gleichen Abend auf Twitch erzählt, wo ich Essen war, auch mit Ankündigung, dass das gemacht wurde, um mich einzuschüchtern. Und das ist halt einfach, das musste ich radikal jetzt akzeptieren. Das ist jetzt so, das kann ich nicht ändern, das ist unfair, das ist ungerecht, das sollte so nicht sein, aber das ist gerade die aktuelle Situation. Und wenn die Plattformen nicht reagieren und der Gesetzgeber halt auch nicht wirklich eine Antwort darauf hat, dann kannst du halt nur hoffen, dass der Gesetzgeber eine Antwort darauf findet, bevor es halt mal Personen trifft, die vielleicht nicht die Möglichkeiten haben, dann in Therapie zu gehen. Die nicht die Struktur haben, dass andere Menschen dann mit einkaufen gehen. So ist es halt. Es ist eine super beschissene Situation und alles, aber-

[00:42:01.860] - Nadia Kailouli

Aber man fragt sich ja jetzt gerade, was sind das denn für Leute? Jetzt mal ehrlich. Das eine ist ja zu sagen:" Ich springe auf ein Ding mit drauf und sage Ja, Daumen nach oben finde ich auch scheiße." Okay fair enough, da kann man Massen von Menschen mobilisieren. Aber wir reden hier gerade von Menschen, vor allem Männern, die deinen nicht nur Ruf schädigend, die dich persönlich angreifen. Wir haben das jetzt alles gehört, was da gemacht wird. Man fragt sich doch, wo bleibt denn der gesunde Menschenverstand? Sind das denn alles nur komplette Arschlöcher, die, weil sie eben nicht angeprangert werden können, zu solchen Mitteln greifen? Aber überhaupt, um zu solchen Mitteln zu greifen, muss man ja echt, ich kann es nicht anders sagen, muss man einfach ein richtiges Arschloch sein? Das sind doch nicht als Arschlöcher da auf diesen Twitch Kanälen.

[00:42:40.140] - Pia Scholz

Ich kann das nicht beantworten. Also ich, ich, ich weiß es nicht. Ich bin auf der Suche. Ich bin sehr viel auf der Suche nach den Begründungen, warum Menschen so ticken, wie sie ticken. Und ich habe das Gefühl also wenn ich eine Sache letztes Jahr krass auch erfahren durfte, war das Menschen, die mich hassen, egal ob jetzt Content Creator oder auch Zuschauende teilweise gar nicht so genau wissen, weswegen sie mich gerade hassen. Also entweder ist es ein: "Ja, du gehst nie auf Kritik ein und du lügst, die lügt die ganze Zeit!" Und dann fragst du halt mal nach und bist so: "Ja, wo habe ich denn gelogen?" "Ja, schau das Video!" Und dann so: "Ja, aber du wirst mir doch, wenn du sagst, ich lüge, dann wirst du mir doch auch selber sagen können, wo ich denn gelogen habe. Dann musst du doch nicht jetzt ein Video heranziehen." Und dann kommt, oftmal kommt dann gar nichts, weil es dann heißt: "Das muss ich dir jetzt nicht erklären!", oder keine Ahnung was. Oder es werden einfach ganz oft mir Aussagen zugeschoben, die ich nie gesagt habe. Und ich habe halt erst habe ich die ganze Zeit mir überlegt okay, wie kann das denn passieren? Wie kann das denn sein, dass ich konstant für Aussagen herangezogen werde, die ich nicht geäußert habe? Und mir ist dann im Laufe des letzten Jahres aufgefallen, dass ich, glaube ich, für viele Menschen ein stellvertretendes Gesicht geworden bin, für alle Werte, die sie hassen, für die ich versuche, mich einzusetzen, weil die Art und Weise, wie ich mich dafür einsetze oder auch die Werte oder irgendwas dazwischen, sie halt nervt. Das heißt, wenn es queerfeministisch ist, wenn es intersektional ist, wenn es auch laut und unangenehm manchmal ist, wenn es links ist. Also ich bezeichne mich gerne auch selber mit einem leichten Lächeln immer als linksradikal, weil mir auch Linksextremismus vorgeworfen wurde, was auch wild ist, also sehr sehr sehr sehr wild. Und alles was in diese Richtung geht, wird mir halt zugeschoben. Das heißt, wir befinden uns dann in Situationen, in denen eine Kollegin von mir was sagt und dann entsteht ein Shurjoka-Video, weil Shurjoka hat es gesagt und es wird gar nicht mehr differenziert, hat sie es gesagt? Hat die andere es gesagt? Hat es irgendein Typ gesagt, mit dem ich noch nie was zu tun hatte? "Oh, das hat irgendein User auf Twitter geschrieben, der hat eine Regenbogenflagge im Namen. Das ist bestimmt Shurjoka-Bubble!" Also, und ich glaube, dass die Leute wirklich diese, also diese Wut nicht zwangsweise empfinden, weil die jetzt alle Arschlöcher sind. Ich glaube, das ist zu simpel gedacht. Ich glaube, sie stören sich potenziell an politischen und gesellschaftlichen Bewegungen. Und ich bin das stellvertretende Gesicht dafür, an dem man diesen Frust und diese Wut auslassen kann. Und es wird, glaube ich, von vielen gar nicht richtig wahrgenommen, dass ich nicht einfach ein Gesicht bin, sondern dass da ein Mensch dahintersteckt. Ich glaube, so weit geht das Verständnis nicht so das Verständnis bleibt stehen, bei: "Das ist jetzt dieser Twitteraccount und jetzt schreibe ich hier mal drunter, wie scheiße ich sie finde, weil die sind eh alle scheiße."

[00:45:23.160] - Nadia Kailouli

Und wir, wir sagen jetzt ganz laut und schreiben das auch hier drunter, ja, wie gut wir dich finden. Ich finde es so stark, dass du heute bei uns war es. Liebe Pia, ich kann nicht sagen: "Mach weiter so!" Ich hoffe für dich sehr, dass du irgendwann wieder zurück in ein friedliches, gesundes Leben kommst ohne diese Arschlöcher, ja. Großartig, dass du dich eben in dieser Welt für diese Themen einsetzt und ich hoffe, dass du das weiter machen kannst, solange du in Sicherheit bleibst. Pia Scholz aka Shurjoka, vielen Dank, dass du heute bei uns bei einbiszwei warst.

[00:45:53.730] - Pia Scholz

Dankeschön für die Einladung. Tschüss.

[00:46:00.070] - Nadia Kailouli

Also ich weiß gar nicht, was ich da jetzt noch sagen soll. Ich glaube, das war sehr, sehr eindrücklich und auch eindringlich, was Pia da erzählt hat und welche schlimmen Erfahrungen. Man kann das ja nicht anders sagen sie da macht. Und deswegen hier mein Appell: Wenn jetzt hier irgendeiner auf die Idee kommt, aus diesem Podcast irgend so eine Nummer zu schieben, dann können wir uns alle mal kennenlernen. Dann könnt ihr nämlich hier mal vorbeikommen und mir mal euer Problem erklären. Ich finde das wirklich ein Unding. Das ist beispiellos und das gehört sich nicht. Punkt. Aus. Ende. Wenn ihr jetzt sagt: "Was erzählt mir die Mutti da, ist mir wurscht!", aber ich finde es wirklich richtig scheiße. Und bitte Leute: Sensibilisiert euer Umfeld! Hate ist wirklich scheiße und es zerstört im Wortsinn das Leben mancher Menschen.

[00:46:39.990] - Nadia Kailouli

So und eine Sache wollen wir euch jetzt hier an dieser Stelle noch erzählen. Wir sind nämlich an Pia und ihrer Geschichte drangeblieben. Und Pia hat es tatsächlich geschafft, einen Sieg vor Gericht gegen einen derjenigen zu erringen, der ihr das Leben schwer gemacht habe. Das Gericht hat seine Aussagen als unzulässige, persönlichkeitsrechtsverletzende Schmähkritik eingeordnet. Er ist dazu verpflichtet, die betroffenen Videos, Streams, Tweets und weitere Beiträge zu entfernen und zu unterlassen, da diese rechtswidrig sind. Das ist doch mal eine super Nachricht und ich hoffe, dass Pia sich auch weiterhin von diesen ganzen Männern, die im Netz ihren Frauenhass ausleben, nicht einschüchtern lässt.

[00:47:19.780] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei Euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal. Und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Twitch - das ist mittlerweile eine Plattform, auf der sich auch viele Männer tummeln, die vor allem schwer frauenfeindlich unterwegs sind.

Ein schwarz-weiß-Bild in dem Pia Scholz mit Nadia Kailouli in dem Podcast "einbiszwei" spricht.

Eine, die das zu spüren bekommt, ist Pia Scholz: Sie ist im Internet seit 2015 unter dem Namen „Shurjoka“ bekannt und engagiert sich dort auch für politische und gesellschaftliche Themen. Im vergangenen Jahr wurde sie beim deutschen Computerspielpreis als „Spielerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihre Hauptthemen sind Aufklärung über Rechtsextremismus und Feminismus – und damit ist sie für viele männliche Streamer bei Twitch ein echtes Feindbild.

Seit einem Jahr wird Shurjoka auf Twitch, YouTube und Social Media massiv angefeindet. In Hunderten Videos wird sie angegriffen, beleidigt, bedroht und mit Deepfake-Pornos diskreditiert.

Wie heftig das ist, wenn ein Dauer-Shitstorm tobt, erzählt Shurjoka bei einbiszwei.

LINKSAMMLUNG:

Shurjoka bei Twitch
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Ein Artikel über das Patriarchat im Netz und Hetzkampagnen auf Social Media
Perspektive Online | Patriarchat im Netz: Über Hetzkampagnen auf X und Frauenhass auf Twitch

Hier wird erklärt, wieso Frauenhass im Internet so gut funktioniert
Keinen Pixel dem Faschismus | Kampagne gegen Shurjoka: Frauenhass ist lukrativ

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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