Aus unserer Sicht (Betroffenenrat) | 17.04.2023

Stellungnahme des Betroffenenrates bei der UBSKM zum Thema organisierte sexualisierte und rituelle Gewalt

In den vergangenen Wochen gab es mehrere öffentliche Beiträge zu organisierter sexualisierter und ritueller Gewalt, die in freiwillig oder unfreiwillig am Thema interessierten Personenkreisen für Diskussionen gesorgt haben. Neben den Äußerungen des Magazins SPIEGEL (2023) liegen zwei Stellungnahmen aus der Rechtspsychologie vor (DGPs 2023, BDP 2023).

Desinformation für Fortgeschrittene

Der Betroffenenrat hat in seiner ersten aktuellen Positionierung die laufenden Diskussionen als unwürdig bezeichnet (BR 2023). Die Perspektiven, die im SPIEGEL-Artikel erstaunlich einseitig Raum erhalten haben, sind nicht neu. Bereits 2018 hat der Betroffenenrat angemerkt, dass die Debatte um die Frage, ob es rituelle Gewalt eigentlich gäbe, alt ist (BR 2018). Ursprünglich tauchte die Debatte im Fahrwasser von Theorien auf, dass sexualisierte Gewalt gegen Kinder selten sei und Anschuldigungen gegenüber Eltern – vor allem Vätern – meist den Betroffenen oftmals von ihren (feministischen) Therapeut*innen eingeredet worden seien (Richardson 2015). Darüber hinaus wären sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen womöglich nicht schädlich, wie einzelne Vertreter*innen der damals frisch gegründeten False Memory Syndrome-Bewegung verkündeten (Armstrong 1996). Rituelle Gewalt war das Sahnehäubchen auf der Torte der US-amerikanischen False Memory Syndrome-Bewegung und ihrer internationalen Nachahmer*innen: noch unglaubwürdiger als alle anderen sexuellen Gewaltformen.

Wir sind bereits weiter

Inzwischen ist der internationale Stand diverser Wissenschaften – von Soziologie und Kriminologie über Endokrinologie bis hin zur Psychotraumatologie – längst weiter: Es gibt beispielsweise Bildgebungsverfahren, dass eine DIS (Dissoziative Identitätsstörung) eine psychische und neurobiologische Verfassung darstellt, die sich von Nachahmungen unterscheidet (z. B. Schlumpf et al. 2014). Es ist immer mehr darüber bekannt, welche schädlichen Auswirkungen Psychotraumata u. a. auf körperlicher Ebene haben können (z. B. Edmondson & von Känel 2017). Kultur- und sozialwissenschaftliche Analysen haben aufgezeigt, welche gesellschaftlichen sowie sozialen Folgen sexualisierte Gewalt haben kann (z. B. Sanyal 2016, Andresen et al. 2021). Nicht zuletzt legen selbst konservative Erhebungen nahe, dass sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige häufig ist (Jud et al. 2016). Aus zwei Repräsentativumfragen in der Dunkelfeldforschung der Arbeitsgruppe von Professor Fegert der Universitätsklinik Ulm (Witt et al. 2017, 2019) sowie der vorangegangenen Studie von Häuser und Kolleg*innen (2011) geht hervor, dass etwa jede*r siebte bis achte Erwachsene in Deutschland sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlitten hat. In Brunner et al. (2021) finden sich neue Zahlen zur Häufigkeit von körperlichem sexuellem Kindesmissbrauch.

Rituelle Gewalt ist ein vermeintlicher letzter Strohhalm, der zur allgemeinen und persönlichen Diskreditierung von Betroffenen, professionellen Unterstützer*innen und Wissenschaftler*innen herhalten kann. Wer sich auch nur minimal um eine differenzierte Darstellung bemüht, dem wäre das so kaum noch möglich.

Wer rituelle Gewalt als fragwürdig hinstellt, beruft sich häufig darauf, dass es keine weltumspannende, satanische Elite gäbe, die heimlich unser aller Geschicke lenke. Dieser Aussage dürften mehr als 99 Prozent aller Menschen - einschließlich Betroffener ritueller Gewalt – zustimmen. Die verbliebenen Prozentanteile entfielen auf QAnon-Anhänger*innen. Hingegen berichten Aussteiger*innen teilweise von international vernetzten Täter*innen. International vernetzt zu sein, ist inzwischen nicht nur für manche Täter*innen (digitaler) Alltag, sondern normal.

Belege existieren

Die Behauptung, dass Belege für die Existenz von Gruppen, die unter Nutzung einer Ideologie (sexualisierte) Gewalt ausübten, fehlten, ist längst nicht mehr haltbar. Von den Children of God, die tatsächlich international bestehen (XFamily 2008), über Colonia Dignidad, zu deren Folterpraktiken inzwischen genug Belege vorliegen (Dreckmann-Nielen 2021) bis zu Michael Eschners Thelema-Orden (Deutscher Bundestag 1998) gibt es ausreichend Fälle von größeren Gemeinschaften, die separiert von der Öffentlichkeit sexualisierte Gewalt gegen Mitglieder ausgeübt haben. Zudem bedienen sich auch Gruppen wie die Cosa Nostra, die für klassische organisierte Kriminalität bekannt sind, der gruppenstabilisierenden Wirkung geteilter Ideologien und Rituale (Merlino 2013). In anderen Fällen wurden Eltern und/oder andere nahe Verwandte für sexualisierte Gewalt an Kindern verurteilt, bei der teilweise noch weitere Erwachsene involviert waren und die rituelle Elemente enthalten hat (Infoportal Rituelle Gewalt 2023). Manche dieser Fälle liegen bereits Jahrzehnte zurück, wie z. B. die Verurteilungen in Nottingham 1989, in denen die betreffenden 25 Kinder erst nach Inobhutnahme und den Verurteilungen mehrerer Erwachsener begannen, von rituellen Elementen zu berichten (Richardson 2015). Es gibt genug Belege für die Existenz ritueller Gewalt, auch wenn Verurteilungen sich teilweise nur auf einzelne Erwachsene beschränken oder sich nicht explizit auf ideologisch inszenierte Gewalt beziehen.

Die genannten Fälle entstammen alle dem Hellfeld. Sie sind einfach zu finden. Unabhängig vom Kontext der Gewalt teilen Hellfelddaten von Verurteilungen aufgrund sexualisierter Gewalt eine besondere Eigenschaft: Sie bilden nur einen kleinen Ausschnitt der Gewalt ab. Sexualisierte Gewalt an Kindern hinterlässt nicht immer körperliche Spuren, erst recht selten eindeutige. Wenn Täter*innen nicht geständig sind oder wenn keine Sachbeweise existieren, kann es sein, dass die Aussagen von Täter*innen und Opferzeug*innen gegeneinanderstehen. In Deutschland gilt im Strafrecht die Unschuldsvermutung. Solange Zweifel daran bestehen, dass Täter*innen sexualisierte Gewalt ausgeübt haben, werden sie nicht verurteilt. Ein Freispruch ist damit kein Unschuldsnachweis. Er ist ein fehlender Schuldnachweis. Bei sexualisierter Gewalt bestehen grundsätzlich hohe kognitive Anforderungen an gerichtsverwertbare Aussagen. In Verbindung mit den psychischen Belastungen und geringen Erfolgsaussichten, die mit einem Strafverfahren einhergehen, führen diese zu hohen Motivationshürden für Betroffene (oder deren Sorgeberechtigte), überhaupt Anzeige zu erstatten. Das Hellfeld bildet damit nach wie vor lediglich einen Bruchteil der sexualisierten Gewalt gegen Minderjährige ab. Rituelle Gewalt als „zusätzliches“ Element kann, wie bei der Verurteilung von Nickis Vater (Nickis 2023), für die Ermittler*innen womöglich nachrangig sein und fehlt dann in einem Teil der Hellfelddaten (z.B. einer Urteilsbegründung).

Forschungsethik für Anfänger*innen

Wissenschaftlich erhobene Daten aus dem Dunkelfeld sind unabdingbar, um sexualisierte Gewalt, ihre Rahmenbedingungen und ihre Folgen zu verstehen. Wissenschaftler*innen haben u. a. den Auftrag, mit der Erhebung neuer Daten zu (abstrakten) neuen Erkenntnissen über z. B. rituelle Gewalt beizutragen, die über den Einzelfall hinaus anwendbar sind. Ein Strafermittlungsauftrag ist etwas anderes, als die Schaffung von Empirie zur (Weiter-)Entwicklung von Theorien. Ersteres ist Monopol der Ermittlungsbehörden.

Forschung zu sexualisierter Gewalt im Allgemeinen und Dunkelfelderhebungen mit Betroffenen im Besonderen müssen bestimmten ethischen Standards entsprechen, die grundsätzlich für die Forschung mit Menschen gelten. Ein solcher ethischer Standard ist die Prüfung, ob ein Forschungsprojekt überhaupt notwendig ist. Bei ritueller Gewalt wäre ein Forschungsprojekt, das sich mit der Frage befasst, ob es rituelle Gewalt eigentlich gibt, ethisch verwerflich. Niemand braucht so ein Projekt, wenn sogar unter den hohen Ansprüchen der Strafverfolgung Fälle mit Sachbeweisen, Zeug*innenaussagen und Verurteilungen existieren. Sinnvoll sind im Gegensatz dazu Forschungsprojekte nach wissenschaftlichen Standards, was rituelle Gewalt eigentlich umfasst: Forschungsprojekte wie die Dunkelfelderhebung der Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf können beispielsweise zeigen, dass die Annahme auch in Deutschland nicht zutrifft, es ginge ausschließlich um satanistische Ideologien (Schröder et al. 2018). Forschung zu Bedarfen, Inanspruchnahme und zu speziellen Inhalten bei Hilfeangeboten ermöglicht, die Angebote auf die Bedarfe auszurichten und Qualitätsstandards weiterzuentwickeln.

Forschung zu den Umständen, unter denen Betroffene zum ersten Mal rituelle Elemente von Gewalterfahrungen erwähnen, würde die Hypothese, unprofessionelle Therapeut*innen und Berater*innen würden Betroffenen ihre Erfahrungen suggerieren, vermutlich in der Breite falsifizieren. Von Nottingham 1989 bis heute legen Berichte nahe, dass Betroffene nicht nur in Einzelfällen vor Beginn einer Beratung oder Therapie bereits konkrete Erinnerungen mitbringen. Teilweise müssen Betroffene die Erfahrung machen, dass Therapeut*innen bzw. Berater*innen die Arbeit mit diesen Erfahrungen lieber aussparen möchten (s. z. B. Nickis 2023). Auch stehen aktuelle explorative Dunkelfelderhebungen dazu aus, welche Therapieformen dieser Betroffenengruppe in Deutschland unter welchen Bedingungen langfristig besonders gut helfen oder besonders anfällig für negative Effekte sind.

Dunkelfeldforschung setzt einen Aspekt voraus, der in der Sozialforschung methodologisch Usus und forschungstheoretisch gut begründbar ist: Die Auskünfte von Personen über sich werden als soziale Wirklichkeit ernstgenommen, in der sich die Personen bewegen. Dieser Aspekt wird bei der Methoden- und der Ergebnisdarstellung transparent gemacht. Wenn strukturelle Verzerrungen der Ergebnisse wahrscheinlich sind, wird auch das beschrieben. Auch große Erhebungen wie der Mikrozensus arbeiten ohne externe Nachweise für die einzelnen Antworten der Befragten (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2023).

Gezielte Desinformation

Wir als Betroffenenrat erwarten, dass Aussagen von Personen über sich selbst und die eigenen Gewalterfahrungen ernst genommen und nicht grundsätzlich und in reflexartiger Verbindung mit der Einforderung externer Beweise in Frage gestellt werden. Gerade von wissenschaftlichen Fachgesellschaften erwarten wir, dass internationaler wissenschaftlicher Konsens anerkannt, kommuniziert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird. Ein Beispiel dafür ist, dass dissoziative (auch amnestische) Symptome im Zusammenhang mit unterschiedlichen traumatischen Situationen auftreten können (Spiegel et al. 2011, Wesemann et al. 2022). Stattdessen wird dieser Konsens in Zweifel gezogen und als kontroverse Meinung Einzelner oder Ansicht einer irregeleiteten Allgemeinheit präsentiert.

Dafür wird Forschung selbst da verzerrt präsentiert, wo sie der eigenen Argumentation dient: Aktuell existieren keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege, dass auch extreme wiederholte Erfahrungen wie sexualisierte Gewalt Personen langfristig und mit Detailerinnerungen überzeugend eingeredet werden könnten (Brewin & Andrews 2016). Die bisherige Forschung zeigt, dass es je nach individueller kognitiver und motivationaler Verfasstheit eines Menschen und Intensität einer Suggestion bzw. Induktion möglich ist, bereits vorhandenen Erinnerungen weitere artverwandte Details hinzuzufügen und insofern zu verändern. Diese Forschung zeigt aber auch, dass die Motivation und kognitive Fähigkeit, an die Echtheit einer bestimmten falschen Erinnerung zu glauben, sich insgesamt selten so sehr verändert, dass sie stabil die Schwelle zwischen Nichtglauben und Glauben im Sinne einer komplett neuen Erinnerungsrepräsentanz überschreitet. Vor allem erforscht sind banale falsche Erinnerungen. Sind Sie sicher, dass Sie als Kind Spargel mochten? Bei „extremeren“ Erinnerungen, wie Schlägereien oder Angriffen durch Tiere ist methodenbedingt in manchen Forschungsprojekten unklar, ob sie tatsächlich nie stattgefunden haben (ebd.).  Sexualisierte Gewalt findet in sehr unterschiedlichen Situationen, Zeiträumen und Kontexten statt. Die einfache Übertragung der Ergebnisse zu Falscherinnerungen auf sexualisierte Gewalterfahrungen im Kindes- und Jugendalter ist nicht möglich. Eine generalisierende Debatte stößt hier an ihre (destruktiven) Grenzen.

Bei der Diskussion, ob das Implementieren von Falscherinnerungen an sexuelle Gewalt möglich sei, geht zudem verloren, dass in den Studien gezielter und großer Aufwand betrieben wird, um Personen falsche Erinnerungen zu suggerieren. Ein solches Verhalten durch Professionelle gegenüber Betroffenen wäre ein schwerer Kunstfehler, der Betroffenen schadet, Richtlinienverfahren missachtet und von uns kritisiert würde. Dass professionelle Unterstützer*innen hingegen über verschiedene Gewaltformen informiert sein sollten, um Fehleinschätzungen zu vermeiden, ist ebenso naheliegend, wie in der Pneumologie über Nikotinabhängigkeit informiert zu sein. Niemand behauptet, dass nicht gelegentlich Menschen mit großen Fehlannahmen bezüglich eigener Gewalterfahrungen leben, aus welchem Grund auch immer sie im Einzelfall dazu gekommen sind. Aber weder daraus noch aus der Existenz bestimmter Kunstfehler lässt sich ableiten, dass Beides die Norm sei. Es bleibt, wie in anderen Handlungsfeldern, die Notwendigkeit und Verpflichtung, bei Hilfe- und Unterstützungsleistungen mit dieser subjektiven Belastungslage zu arbeiten

Kombinationen aus Verabsolutieren und Dekontextualisierung, das Cherry Picking, und der oben erwähnten falschen Balance zwischen wissenschaftlichem Konsens wie abweichenden Meinungen einiger Weniger kennen wir spätestens seit der Covid19-Pandemie von den Personengruppen, die Infektions- und Impffolgen irreführend darstellten (Rosenblatt 2023, klimafakten.de 2023). Sie richten Schaden an.

Bei der momentanen Datenlage ist es inhaltlich falsch und absolut verkürzt, Gedächtnislücken nach Gewalt allgemein in Zweifel zu ziehen bzw. bei schweren Gewalterfahrungen von fehlerfreien und lückenlosen Erinnerungen auszugehen, schwere Dissoziation mit Schauspiel gleichzusetzen oder eine grundsätzlich einfache Erzeugbarkeit von Falscherinnerungen zu sexualisierter Gewalt als allgemeingültig nachgewiesen zu präsentieren. Gleichzeitig ist dies allen Wissenschaftler*innen gegenüber verwerflich, die sich um gute Arbeit nach ethisch und methodisch hohen Standards bemühen. Darüber hinaus ist dies allen Menschen gegenüber verantwortungslos, die nicht die Zeit, das Geld und die Bildungsprivilegien haben, sich die originalen Studien durchzulesen. Vor allem aber ist dies eine Abwertung von Betroffenen.

Einfach mal Opfer sein: Die vermeintliche Bequemlichkeit der Opferrolle

Pandemien sind kompliziert. Sexualisierte Gewalt ist kompliziert. Aber die Entscheidung, ob man Gewaltbetroffene als Gewaltbetroffene ernst nimmt, ist nicht kompliziert. Sexualisierte Gewalt ist entmenschlichend. Sie degradiert Menschen zu Dingen. Menschen zuzuhören, die von erlebter Gewalt berichten und ihre Beschreibungen sowie Einordnungen ernst zu nehmen, lässt sie Menschen sein (Emcke 2016). Dass Menschen, die von sexualisierter Gewalt berichten, weniger glaubwürdig sind als andere, weil sie zu jung, zu alt, zu weiblich, zu trans*, zu männlich, zu behindert, zu wenig weiß, zu traumatisiert, zu schwach, zu ungebildet (…) sind, ist ein Klassiker (Sanyal 2016). Im Bücherregal steht er direkt neben dem Sammelband fragwürdiger Motive. Entweder würden Betroffene nur Aufmerksamkeit wollen und sich in der Passivität einrichten wollen, die die Opferrolle anbietet. Oder Betroffene sind, wie der SPIEGEL-Artikel und die Stellungnahmen nahelegen, nicht einmal zu eigener Willensbildung fähig, sondern nur Mittel zum Zweck unprofessioneller Therapeut*innen.

An die Bequemlichkeit von Opferrollen glauben Menschen höchstens bis zum Versuch, trotz Flashbacks Anträge bei einer Behörde (z. B. für ein OEG-Verfahren) korrekt auszufüllen und/oder komplizierte Nachweise zu beschaffen. Das macht niemand freiwillig. Betroffene möchten sich ein Leben ohne Gewalt, auch ohne strukturelle Gewalt, aufbauen. Dazu brauchen sie gute Unterstützung. Die Handvoll Betroffener ritueller Gewalt, die überhaupt öffentlich in Erscheinung tritt, tut das meistens, um aufzuklären und zu erklären. Es geht nicht um Einzelpersonen, sondern um die Themen rituelle Gewalt, (fehlende) Hilfe und Strukturen.

Fame für vermeintliche Retter*innen

Aufmerksamkeit durch plakative Vereinfachungen, schlechte Recherchen und unsaubere Wiedergabe von Forschungsständen (oft verbunden mit der Abwertung von Einzelpersonen) in den Medien dient bestimmten Interessen und Interessensgruppen. Zynisch bleibt, dass diejenigen, die Betroffenen ritueller Gewalt die eigenen Erfahrungen absprechen und sie als lächerliche Opfer überspannter Professioneller hinstellen, sich als Retter*innen präsentieren. „Gerettet“ werden bei der aktuellen Gelegenheit auch alle anderen Betroffenen sexualisierter Gewalt: Nämlich davor, den eigenen Erinnerungen zu trauen - da, wo Erinnerungen an sexualisierte Gewalt vollständig sind, ebenso wie dort, wo sie lückenhaft sind. Beidem sei nicht zu trauen, verkünden die oben genannten Fachgesellschaften, was prompt u. a. in einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift aufgegriffen wird (Saum-Aldehoff 2023). International anerkannte Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis beispielsweise zu der Existenz peritraumatischer Dissoziation als widerlegt zu präsentieren, würde für gewöhnlich für Erheiterung bei den Leser*innen sorgen. Nicht aber, wenn Leser*innen noch nicht genug vom Thema wissen und zuverlässige Fachinformationen brauchen. Betroffenen Leser*innen wird durch die Blume nahegelegt, der eigenen Wahrnehmung nicht mehr zu trauen. Und wenn Berichte bruchstückhaft sind, wird möglichen Bystander*innen Skepsis nahegelegt.

Gewaltbetroffene brauchen keine Relativierungen ihrer Erfahrungen, die viele von uns immer wieder durch Täter*innen haben hören müssen. Viele von uns brauchen aber (zeitweise) professionelle Unterstützung. Professionalität heißt dann, in der Arbeit verantwortungsvoll mit der eigenen Machtposition und auf Basis von tatsächlich anerkanntem Fachwissen respektvoll mit Betroffenen umzugehen. Der Betroffenenrat hat den Eindruck, dass manchen Medienvertreter*innen und Fachgesellschaften diese Aspekte unwichtig sind.

Betroffenenrat bei der UBSKM, im April 2023

Presseanfragen an den Betroffenenrat unter: presse@betroffenenrat-ubskm.de 

Diese Meldung beinhaltet Forderungen und Ansichten des Betroffenenrates und gibt nicht die Positionen des UBSKM-Amts wieder.

Verweise

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