Podcast | Folge: 79 | Dauer: 33:31

Pornosucht – was ist das, Charlotte Markert?

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Das Interview der Folge 79 als Transkript lesen

[00:00:01.110] - Charlotte Markert

Eine Pornografiesucht erkennt man daran, dass der Pornografiekonsum zum Fokus, zum Lebensmittelpunkt geworden ist und ganz, ganz viel Raum im eigenen Leben einnimmt. Aber tatsächlich erleben sie häufig auch weniger Lust beim Pornografiekonsumieren oder auch beim Masturbieren dazu. Und ja, da tut sich eine immer größere Diskrepanz auch auf, sodass eigentlich dieser Wille, das zu reduzieren und aufzuhören, auch steigt und das gleichzeitig nicht geschafft wird.

[00:00:30.770] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missständen und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:55.270] - Nadia Kailouli

Gehen wir mal ganz wissenschaftlich ran: Wenn Menschen Pornos gucken, empfangen sie in der Regel hochattraktive Reize, oder anders ausgedrückt: Pornos lösen bei vielen Glücksgefühle aus. Manche Menschen macht das aber süchtig. Sie brauchen dann immer mehr Filme und sie brauchen oft immer stärkere Reize und damit eben immer härteres Material. Doch wie bei jeder Sucht gibt es auch hier durchaus Möglichkeiten, die Sucht zu heilen, wenn man die Sucht gründlich genug erforscht. Eine, die schon eine ganze Weile untersucht, wie Pornos süchtig machen, ist die Psychologin Charlotte Markert. Zusammen mit ihren Kolleg:innen hat sie nun einen neuen Therapieansatz für Pornosüchtige entwickelt und wie der aussieht, erklärt sie uns jetzt. Herzlich willkommen, Charlotte Markert bei einbiszwei. Schön, dass du da bist.

[00:01:38.800] - Charlotte Markert

Ja, ganz vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich sehr.

[00:01:41.160] - Nadia Kailouli

Ja, ich freue mich auch. Charlotte, wir sprechen heute über das Thema Pornografiesucht.

[00:01:47.180] - Charlotte Markert

Genau.

[00:01:47.590] - Nadia Kailouli

Gibt es überhaupt dann einen Konsum von Pornografie, der normal ist, wenn wir mal so anfangen wollen?

[00:01:54.940] - Charlotte Markert

Auf jeden Fall. Also von Pornografiesucht, von der Prävalenz her, von der Verbreitung her, sprechen wir von ungefähr drei bis fünf Prozent der Männer, die betroffen sind und eigentlich so ein bis maximal zwei Prozent der Frauen, die betroffen sind, eher ein Prozent der Frauen. Wir wissen aber, dass wirklich die überwiegende Mehrheit der Menschen Pornografie konsumiert. Das heißt, alle anderen scheinen irgendwie eine Art von normalen Pornografiekonsum zu betreiben, wobei der Konsum natürlich sehr, sehr unterschiedlich sein kann, hinsichtlich von Länge oder Häufigkeit oder auch dem Material, was geschaut wird. Teilweise auch, ob es sich dabei um rein auditives Material oder visuelles Material handelt oder so. Das kann ganz, ganz verschieden sein. Und ja, es gibt auf jeden Fall einen normalen Pornokonsum, aber der kann ganz, ganz divers aussehen.

[00:02:46.370] - Nadia Kailouli

Kann man denn festhalten, obwohl es divers aussieht, was man unter einem normalen Pornokonsum versteht?

[00:02:55.160] - Charlotte Markert

Ich glaube, das ist ganz, ganz schwer zu sagen, weil im Grunde genommen ist das eben das, was die überwiegende Mehrheit macht. Dazu müssten wir quasi alle Menschen befragen, was sie so machen und versuchen, das dann zusammenzufassen. Und ich glaube, dass das so variabel ist, dass wir gar nicht sagen können: "Das ist normaler Pornografiekonsum!" Das wäre so was wie: Was ist normaler Schlaf oder was ist normales Sporttreiben? Oder so. Es ist einfach sehr unterschiedlich, je nachdem, was der Person gefällt.

[00:03:25.630] - Nadia Kailouli

Okay, dann fangen wir direkt mal so an: Woran erkenne ich denn, dass das, wie ich konsumiere nicht mehr normal ist und ich eventuell eine Pornografiesucht habe?

[00:03:34.570] - Charlotte Markert

Eine Pornografiesucht erkennt man daran, dass der Pornografiekonsum zum Fokus, zum Lebensmittelpunkt geworden ist und ganz, ganz viel Raum im eigenen Leben einnimmt und das schon seit einer gewissen Dauer. Das ist im Grunde genommen die einzige Zahl, die es gibt. Es ist quasi notwendig, dass das mindestens sechs Monate lang vorliegt. Also nicht irgendwie über ein paar Tage und dann ist man pornosüchtig, sondern wenn das über einen Zeitraum von sechs Monaten oder länger wirklich zentral wird im Leben der Person und die Person auch angibt, dass sie die Kontrolle darüber verloren hat, also dass sie häufiger versucht hat, schon den Konsum zu reduzieren oder ganz aufzuhören und das nicht schafft und andere Lebensbereiche dadurch eingeschränkt werden. Also zum Beispiel, dass es viel Konflikte dadurch gibt in der Partnerschaft oder in der Familie oder dass es irgendwie beim Arbeitgeber zu Schwierigkeiten gekommen ist dadurch oder man es überhaupt nicht mehr schafft, der Arbeit oder dem Studium oder der Ausbildung nachzugehen. Das sind so Hinweise dafür, dass das krankhafte Ausmaße angenommen hat.

[00:04:39.360] - Nadia Kailouli

Und kann man das an Stunden festmachen? An Tagen? Ist es dann, dass ich das jeden Tag konsumiere, mehrere Stunden hintereinander konsumiere oder so. Gibt es da Anhaltspunkte, die eine Pornografiesucht so diagnostizieren?

[00:04:56.470] - Charlotte Markert

Ja, leider nicht. Natürlich gibt es quasi Zusammenhänge mit der Dauer, weil nur wenn ich ausreichend lange konsumiere, dann kann es natürlich auch in andere Lebensbereiche reinwirken und diese Lebensbereiche einschränken, sodass ich mich vielleicht sozial mehr zurückziehe oder nicht mehr arbeiten kann. Das heißt, das nimmt in der Regel schon mehrere Stunden in Anspruch oder ist sehr, sehr häufig, vielleicht auch immer nur kurze Zeiträume, aber sehr, sehr häufig am Tag oder auch die Beschäftigung damit ist sehr häufig. Das heißt, ich bin vielleicht bei der Arbeit und denke die ganze Zeit daran, wann kann ich irgendwie wieder in Porno schauen und wie mache ich das dann? Also es ist auch die gedankliche Beschäftigung damit. Man kann nicht sagen, bis zwei Stunden ist okay und danach ist pathologisch oder so. Diese Grenze gibt es nicht. Und tatsächlich kann man auch sehr häufig konsumieren, ohne ein Problem damit zu haben. Also das kommt einfach auch wirklich darauf an, ob man einen individuellen Leidensdruck hat. Und wenn dieser nicht besteht, dann würde man jetzt auch nicht von einer Sucht sprechen.

[00:05:52.830] - Nadia Kailouli

Kann man sagen, du forschst daran?

[00:05:54.730] - Charlotte Markert

Ja.

[00:05:55.230] - Nadia Kailouli

Ja, man kann das schon so sagen, du forschst daran. Deswegen ist das ja jetzt nicht so, dass du uns einfach nur mal schnell deine Meinung dazu sagst, sondern du präsentierst uns ja wirklich sozusagen Forschungsergebnisse, Erkenntnisse, weil du mit vielen Leuten gesprochen hast, die davon betroffen sind. Ab wann merkt man denn selbst, abgesehen davon, dass man merkt: „Ich sage jetzt eher eine Verabredung mit Freunden ab oder ich bin wieder zu spät zur Arbeit zu kommen, weil ich eben eher Pornografie konsumiere." Ab wann wird denn einem bewusst, dass man dadurch auch ins Leiden kommt? Weil eigentlich, wenn man jetzt so denkt, ist die Pornografie dafür da, in den meisten Fällen, um jemandem so ein gutes Gefühl zu geben, dass ich mit mir selber eine Sexualität ausleben kann anhand von Pornos, die ich mir angucke. Aber ab wann hat man denn gemerkt: „Oh Gott, das, was ich hier tue, das tut mir gar nicht gut. Das ist schlimm. Ich muss hier raus. Ich will das nicht mehr."?

[00:06:49.790] - Charlotte Markert

Ja, genau. Wichtig sind tatsächlich diese kleineren oder größeren Einschränkungen im Alltag, dass es sich auf das Arbeitsleben oder auf das Freizeitverhalten auswirkt oder eben auch auf das Familienleben. Was aber auch dazukommt, ist, dass es teilweise wie so Gewöhnungseffekte gibt. Ich habe noch nie von jemanden gehört, der gesagt hat: „Ich habe diesen einen Lieblingsporno und den schaue ich immer wieder." Das heißt, in der Regel das, was erregend ist, ist auch immer was, was neu ist. Das heißt, Personen, die von einer Sucht betroffen sind, brauchen auch immer viel Zeit, um zu recherchieren nach dem neuen Video, was vielleicht kickt oder nach bestimmten Material, was sie sich anschauen wollen. Und das muss immer neues Material sein, damit das weiterhin erregend bleibt. Und tatsächlich nimmt aber die Lust am Pornografieschauen selber eher ab. Das heißt, sie haben hohe Erwartungen entwickelt und sagen irgendwie, sie freuen sich darauf, wieder konsumieren zu können und planen das richtig ein oder haben schon so entwickelte Rituale. Aber tatsächlich erleben sie häufig auch weniger Lust beim Pornografiekonsumieren oder auch beim Mastubieren dazu. Und da tut sich eine immer größere Diskrepanz auch auf, sodass eigentlich dieser Wille, das zu reduzieren und aufzuhören, auch steigt und das gleichzeitig nicht geschafft wird.

[00:08:10.330] - Nadia Kailouli

Kannst du uns beschreiben, was das mit der Psyche macht, wenn man eine Pornosucht hat?

[00:08:15.990] - Charlotte Markert

Ja, das ist natürlich eine sehr weitreichende Frage, aber was wir eben sehen, sind so verschiedene Phasen. Also zum Beispiel diese Antizipationsphase, eine Erwartungsphase, dass da eigentlich eine Freude ist auf den kommenden Konsum oder irgendwie so eine freudige Erwartung. Und dann passiert der Konsum selbst und der kann auch teilweise sehr in die Länge gezogen werden. Also es kommt häufig zu sehr langen Episoden ohne Orgasmus, weil der teilweise auch gezielt hinausgezögert wird, um das besonders aufregend zu machen. Und dann kommt der Orgasmus oder eben das Ende des Konsums und teilweise kommt dann auch wirklich irgendwie wie so eine Niedergeschlagenheit oder eine Entzugssymptomatik. Das ist auf jeden Fall was, was wir sehen an psychischen Effekten von dieser Pornografiesucht. Es ist natürlich auch ein tabuisiertes Thema. Die Personen trauen sich häufig nicht, darüber zu sprechen. Es weiß oft kaum jemand davon. Es geht dann teilweise mit Selbstwertproblemen einher, weil sie ja eben berichten, dass sie versuchen aufzuhören und das nicht schaffen und sich dann irgendwie schlecht fühlen selber und ganz viele Schuldgefühle entwickeln oder so. Also da sehen wir viele Effekte auf die Psyche und das kann teilweise auch sehr gravierende Auswirkungen haben.

[00:09:28.000] - Nadia Kailouli

Kann man sagen, dass sich das dann deckt mit anderen Süchten, die man hat? Also ist das identisch vom Suchtverhalten her, vom Suchpotenzial her, wie es dem Körper geht, wie es dem Geist geht, ob man jetzt eine Pornografiesucht hat oder eine Alkoholsucht hat oder eine, ich weiß nicht, Essenssucht hat oder so? Sind das ähnliche Symptome, die da auftauchen?

[00:09:50.670] - Charlotte Markert

Das sind auf jeden Fall sich viel überschneidende Symptome, also gerade mit anderen Verhaltenssüchten. So diese substanzgebundenen Süchte, wie Alkoholsucht oder so, die sind teilweise noch so ein bisschen anders gelagert, weil es ja auch eine rein körperliche Abhängigkeit dann gibt von der Substanz, also vom Alkohol selber. Bei den Verhaltenssüchten gibt es auf jeden Fall große Ähnlichkeiten. Darunter würde auch so was zählen, wie so Gaming-Disorder, also mit Computerspielen oder Gambling im Glücksspielbereich, oder so Shopping- oder Social-Media-Süchte, die gehören eigentlich auch mit zu den Verhaltenssüchten und da sehen wir große Überlappungen. Was bei der Pornografiesucht noch mal ein bisschen besonders ist, ist, dass die sexuellen Reize natürlich sehr auch biologisch verankert sind in uns. Und das Anschauen sexueller Reize, das muss nicht gelernt werden. Also eine Shoppingsucht oder eine Gaming-Disorder. Beim Computerspielen muss ich erst lernen oder erst belohnt werden. Da brauche ich irgendwelche Levels oder irgendwas, dass das interessant für mich ist. Deshalb werden diese Belohnungsmechanismen in die Spiele auch gezielt, einprogrammiert. Und bei der Pornosucht ist es so, dass es nicht dieses Einbauen von Belohnung braucht, sondern eben das sexuelle Material per se schon belohend ist. Das ist so ein bisschen besonders.

[00:11:07.010] - Nadia Kailouli

Okay. Und kann man das darauf zurückführen, dass wir heute über eben Pornografiesucht sprechen, weil man über das Internet eben frei zugänglich jederzeit an pornografische Inhalte kommt?

[00:11:18.120] - Charlotte Markert

Ja, also das macht, glaube ich, inzwischen Großteil aus. Also es gab das sicherlich schon vorher und wir finden auch schon Berichte von so unkontrollierten sexuellen Verhalten, was auch anders gelagert war. Aber so das Breitband, Internet und Tablets und Smartphones haben das Ganze schon sehr befeuert, sodass es dadurch definitiv zu einem Anstieg kommt.

[00:11:43.410] - Nadia Kailouli

Das ist nämlich immer wieder das. Ich komme dann immer wieder auf meine Videothek.

[00:11:48.270] - Charlotte Markert

Genau, mit dem Ü18-Bereich.

[00:11:50.600] - Nadia Kailouli

Genau, und das Internet bringt das halt nicht mit. Man kann halt einfach nur anklicken: „Ja, ich bin 18" und fertig. Bleiben wir doch direkt mal beim Alter. Wer ist denn besonders von Pornosucht betroffen? Sind das eher Jüngere? Sind das Ältere?

[00:12:06.110] - Charlotte Markert

Das scheint sich ganz breit durchzuziehen. Also es gibt jetzt nicht die Altersklasse oder auch nicht die Gesellschaftsschicht, die betroffen ist, sondern das scheint wirklich sehr heterogen zu sein. Es sind eher Männer betroffen eben als Frauen. Da sehen wir einen Unterschied. Genau, aber vom Alter her kann man es gar nicht so richtig sagen.

[00:12:27.160] - Nadia Kailouli

Aber sind jüngere Menschen eher gefährdet?

[00:12:30.310] - Charlotte Markert

Vielleicht sind sie wissender. Das ist eher so dieses Digital-Native-Ding. Vielleicht gibt es einfach noch Ältere, die die Möglichkeiten im Internet noch gar nicht so kennen. Da gibt es ja auch ganz viele immer wieder neue Entwicklungen und vielleicht sind Jüngere teilweise gefährdeter dadurch, dass sie mehr mitbekommen, was sich so Neues entwickelt und vielleicht auch neugierig sind, das auszuprobieren.

[00:12:52.910] - Nadia Kailouli

Und steckt in dieser Neugier auch die Gefahr, dass man durch das Neugierigsein da überhaupt erst reinrutscht?

[00:13:02.530] - Charlotte Markert

Ja und nein. Also ist, glaube ich, schwer zu sagen. Das kann natürlich schon sein. Es gibt natürlich ein paar Risikofaktoren, aber prinzipiell können ganz viele Menschen da irgendwie reingeraten. Das sind jetzt nicht besonders perverse Menschen, die davon betroffen sind oder so, sondern das kann schon relativ schnell passieren durch den wiederholten Konsum und die psychischen Effekte, die dadurch entstehen.

[00:13:24.720] - Nadia Kailouli

Klar, man kennt das ja, dass gerade ja Jugendliche sagen: „Oh Mann, okay, ich weiß das von meinen Schulkameraden oder so und ich will das jetzt auch mal sehen!" Und dann ist man neugierig und geht da auf Seiten und ist vielleicht erst mal ein bisschen schockiert, weil man da vielleicht dann auch Sachen sieht, die einem vorher gar nicht klar waren, dass es die gibt oder so. Das kann ja auch wahnsinnig traumatisierend dann auch sein, wenn man noch eben sehr früh in seiner sexuellen Entwicklung eben ist und dass darüber dann man vielleicht dann doch noch mal mehr sehen will oder irgendwie mitreden will und dann dadurch einfach in eine Art der Pornografiesucht rutschen könnte.

[00:14:03.850] - Charlotte Markert

Das kann schon passieren. Allerdings halte ich Neugier auch erst mal für so ein relativ normales Gefühl in Bezug auf Pornografie. Und wir wissen ja eben, dass ganz, ganz viele konsumieren, also von den Erwachsenen sowieso, aber auch eigentlich eine Mehrheit der jugendlichen, der minderjährigen Personen. Und dadurch, dass es eben auch viele nicht betrifft mit der Pornografiesucht, daraus schließe ich, dass Neugier jetzt nicht quasi die Eigenschaft ist, die einen dann in den Abgrund zieht oder so. Was vielleicht wichtig ist, einfach noch mal als psychischer Effekt, ist, dass beim Schauen von Pornografie, also es gibt eben so diese Gewöhnungsprozesse, auch Anpassungsprozesse im Belohnungszentrum des Gehirns, sodass wir eben dieses neue Material brauchen. Aber was vielleicht auch wichtig ist, ist, dass nicht nur die Pornografie sich quasi gemerkt wird, sondern auch der Kontext, in dem Pornografie konsumiert wird. Das heißt, wenn ich das ganz viel auf meinem Tablet schaue, dann ist vielleicht irgendwann mein Tablet ein Hinweisreiz fürs Pornografie schauen. Oder wenn ich das immer mache, wenn ich einsam zu Hause bin, dann kann dieses Alleinesein irgendwie wieder so ein Hinweisreiz sein für: „Ich könnte jetzt wieder Pornografie schauen." Und wenn ich sehr neugierig bin und viel ausprobiere, dann kann es natürlich auch sein, dass sich viele kleine Kontextfaktoren mit diesem Thema Pornografiekonsum verbinden. Also im Grunde genommen sind das Konditionierungsprozesse, sodass die auch wieder zu Hinweisreizen werden. Wir haben das in einer Studie überprüft, in der wir die Leute auch bei uns im fmrt-Scanner, Magnetresonanztomografie, haben Pornografie schauen lassen, so kleine Sequenzen, und wir haben dann vor den Videos so geometrische Formen gezeigt. Und manche geometrische Formen, wie irgendwie ein Trapez oder ein Rechteck, haben eben pornografische Filme angekündigt und andere nicht. Und wir konnten dann sehen mit der Zeit, dass auch gelernt wurde, auf diese geometrischen Formen schon mit dem Belohnungssystem zu reagieren. Also das wusste dann schon: "Ah, gleich kommt wieder ein Pornofilm." Und daran sehen wir, okay, geometrische Formen, das ist jetzt nicht was, was so im Alltag mit Pornografie verknüpft ist, aber das sind für uns so diese Hinweise darauf, dass immer mehr kleine Kontextfaktoren damit verknüpft werden und dann vielleicht anregen, wieder Pornografie zu konsumieren.

[00:16:24.770] - Nadia Kailouli

Jetzt ist mir gerade irgendwie so ein Bedürfnis, dass wir natürlich da auf einer sehr sachlichen, wissenschaftlichen Ebene drüber sprechen, anhand deiner Forschung eben auch. Ja, ganz gezielt. Wir sprechen hier nur über das Problem Pornografiesucht. Wir sprechen nicht darüber, wie wir zur Pornografie stehen. Einfach, dass das auch noch mal ganz deutlich wird, dass wir jetzt nicht sagen: „Ah ja, das ist jetzt auch vielleicht nicht schlimm, wenn jemand das guckt!" Also jetzt als Jugendlicher oder so, bevor jetzt die Eltern sagen: „Doch, das ist schlimm. Ich will nicht, dass mein Kind sowas guckt", und andere Leute sagen: „Ja, aber das sind Menschen, die dazu gezwungen werden!", oder so was. Das ist uns alles bewusst, dass das Thema Pornografie an sich auf jeden Fall genügend Gesprächsbedarf mit sich bringt, auch in dem Kontext darüber zu sprechen. Aber noch mal ganz klar: Wir sprechen mit dir eben als diejenige, die das wissenschaftlich untersucht hat in einer Studie, was Pornografiesucht ist und vor allem, wie man da ja auch wieder rauskommt. Das ist ja vor allem das Ziel, wie man das behandeln kann eigentlich. Nichtsdestotrotz möchte ich gerne noch mal einen Punkt ansprechen, und zwar: Hast du aufgrund deiner Arbeit denn erkannt, inwieweit eine Pornografiesucht oder überhaupt, dass immens viele konsumieren von Pornografie, gerade bei Jugendlichen, sich auf das Sexualverhalten auslösen könnte oder kann?

[00:17:44.000] - Charlotte Markert

Ja, tatsächlich sind wir noch nicht an der Forschung oder an der Wissenschaft mit Jugendlichen dran. Wir haben da großes Interesse daran, da auch zu forschen und planen aktuell auch ein Projekt mit Jugendlichen, aber tatsächlich haben wir bislang nur mit Erwachsenen eben aus genau diesen ethischen Gründen, dass wir Jugendlichen nicht Pornografie zeigen wollen, dass es teilweise auch ethisch schon schwierig ist, Jugendliche zur Pornografie zu befragen, weil wenn sie eben keine Erfahrung haben, dann werden sie vielleicht neugierig durch die Befragung oder so. Genau, das ist einfach ein ganz, ganz schwieriges Feld, sodass wir noch gar nicht so richtig viel sagen können dazu, wie sich das auf Jugendliche auswirkt. Es gibt ein paar Studien und auch da gibt es diese sowohl als auch Effekte. Also viele Jugendliche geben einfach an, dass sie das auch als sehr inspirierend empfinden und da Ideen bekommen, was man eben auch selber ausprobieren könnte oder irgendwie wie Sexualität aussehen kann. Und zum Glück können viele Jugendliche wohl auch differenzieren zwischen dem, was gezeigt wird und dem, was womöglich quasi richtiger Sex ist. Das ist ja vielleicht diese Schwierigkeit, die wir im jugendlichen Bereich sehen. Das heißt, das kann auch eben inspirierend sein und positive Effekte haben, vielleicht auch zu mehr Toleranz führen, weil man einfach eine große Diversität von sexuellen Verhaltensweisen sehen kann. Aber es kann natürlich auch umgekehrt schwierige Effekte haben und vielleicht dazu führen, dass man sich Vorstellungen von Sexualität macht, die vielleicht nicht so der Realität entsprechen.

[00:19:20.230] - Nadia Kailouli

Gibt es Erkenntnisse darüber, dass Menschen, die Pornografiesucht haben –und du ja sagtest, die Inhalte, die suchen dann immer neues Material, immer mehr und wir wissen ja, dass es leider eben einen starken großen Markt gibt zu dem Thema Abbildungeen von, also Missbrauchsabbildung von Kindern, die dann als sogenannte Kinderpornografie auf Darknet-Seiten unter anderem kommen. Kann man sagen, dass die, die in die Pornosucht rutschen, sich früher oder später auch diese Filme angucken, diese Videos angucken?

[00:19:51.130] - Charlotte Markert

Das kann sein, dass das bei einer Untergruppe passiert. Also wir kennen Berichte, die so in die Richtung weisen, aber das sind wirklich eher Einzelpersonen, sodass man eher den Großteil schützen muss und sagen muss, dass der Großteil der pornosüchtigen wird, nicht unbedingt auf pädophiles Material nachher irgendwie zurückgreift. Es gibt teilweise scheinbar diese Toleranzeffekte, dass immer extremeres Material geschaut wird.

[00:20:15.980] - Nadia Kailouli

Und unter extremeres Material gehört dann eben auch Abbildung von kinderpornografischen Inhalten?

[00:20:22.460] - Charlotte Markert

Das gehört dann immer zu den extremsten Dingen, wenn so ins Darknet eingedrungen wird und da gezielt nach anderen geschaut wird. Und ja, teilweise gibt es dann natürlich auch Probanden oder Patienten, die dann entsprechende Verfahren haben, weil das irgendwie aufgeflogen ist. Das ist dann schon irgendwie wirklich sehr drastisch. Das sind aber eher wirklich Einzelberichte, wo das dermaßen entgleist. Und dieses, dass es immer extremer wird, ist teilweise wohl auch was, was nicht dann den eigenen Präferenzen entspricht. Also es tut sich immer mehr eine Lücke auf zwischen dem, was konsumiert wird und dem, was eigentlich die Personen praktizieren wollen, sodass sie irgendwie sagen, eigentlich sind sie vielleicht noch verheiratet und leben in einer Partnerschaft und haben das, was man irgendwie so als normalen Sex bezeichnen würde, schauen sich einfach extreme Dinge an und sind teilweise sehr selber erschrocken darüber, dass sie sich das anschauen und dass sie das irgendwie erregt und sagen teilweise sehr glaubhaft, dass sie das im realen Leben gar nicht praktizieren möchten oder so. Das sind dann wirklich zwei Welten, die sich auftun.

[00:21:28.870] - Nadia Kailouli

Okay. Jetzt habt ihr ja euer Forschungsprojekt „PornLos" genannt. Was wollt ihr da genau herausfinden?

[00:21:39.250] - Charlotte Markert

Genau. Unser großes Projekt "PornLos". Also "Los" steht nicht für Leben ohne Pornos, sondern tatsächlich für Leben ohne Suchtdruck. Das ist so die Abkürzung dazu. Wir haben auch eine Homepage: www.Pornlos.de, wo man ganz viel über das Projekt erfahren kann. Und das, was uns interessiert, ist natürlich, ob wir die Behandlung von Pornografiesüchtigen irgendwie verbessern können durch unsere Methode, die wir uns da überlegt haben, die sich auch teilweise an der Therapie anderer Süchte orientiert. Wir arbeiten verhaltenstherapeutisch und mit einer sehr intensiven Therapieform aus Einzel- und Gruppentherapie. Und das ist eine relativ groß angelegte Studie. Das heißt, wir wollen über 300 Patienten behandeln und starten gerade mit dem Einschluss der Patienten in unsere Studie. Und die Studie wird in Hessen, in Rheinland-Pfalz und im Saarland durchgeführt. Und da haben wir ganz viele wiedergelassene Psychotherapeut:innen geschult, die quasi diese Therapien, also die Einzeltherapien, auch durchführen werden. Genau, wir wollen natürlich einmal wissen, ob unsere Therapieform effektiv ist, weil es aktuell ganz, ganz wenig zur Behandlung von Pornografiesucht gibt. Das heißt, wir wollen da die Versorgungslage verbessern und mit unserem gezählten Schulen von niederglassenen Psychotherapeut:innen da auch Hürden abbauen, weil es häufig Schwierigkeiten gibt, dass die Patienten überhaupt einen Platz finden. Sie haben ja oft ein sehr tabuisiertes Thema, mit dem sie so zu kämpfen haben und mit dem es vielleicht auch teilweise schwierig ist, sich Hilfe zu suchen und wenn sie sich dann Hilfe suchen und sich an niedergelassene Psychotherapeut:innen wenden, dann erleben sie häufig auch Ablehnung, weil vielleicht die Idee entsteht, dass man sagt: "Naja, könnte die Person vielleicht auch sexuell übergriffig werden?", oder so. Und das hängt gar nicht so stark zusammen. Und deshalb wollten wir da gezielt schulen, sodass sich auch mehr Niedergelassene trauen, diese Person zu behandeln.

[00:23:37.450] - Nadia Kailouli

Das ist natürlich auch für viele wahrscheinlich gar nicht so einfach. Ich meine, wer geht schon gerne irgendwie zum Therapeuten und sagt: „Entschuldigung, ich habe hier eine Pornosucht. Können Sie mir mal helfen?" Das ist ja wahrscheinlich ein riesen Tabu auch.

[00:23:49.720] - Charlotte Markert

Genau, genau. Das ist, glaube ich, schon so das, was sehr, sehr schwerfallen kann, damit irgendwie überhaupt rauszurücken. Und wenn man dann quasi noch ein, zwei, drei Ablehnungen erfährt oder irgendwie weiß: „Okay, ich muss mindestens ein halbes Jahr auf den Psychotherapieplatz warten", dann ist das natürlich schon schwierig, da überhaupt die Motivation zur Behandlung aufrechtzuerhalten. Was uns aber auch ganz wichtig ist und was wir noch gar nicht wissen in Bezug auf Pornografiesucht, ist, was das richtige Behandlungsziel ist. Man könnte ja eben annehmen, wenn man von Pornografiesucht betroffen ist, dann darf man auf gar keinen Fall in der Zukunft weiter Pornografie konsumieren. Das ist so die Idee, dass man auf jeden Fall abstinent sein muss. Aber es kann ja auch sein, wie im Suchtbereich, jetzt bei Alkoholsucht wurde das teilweise auch als Ansatz mehr und mehr etabliert, dass so eine reduzierte Nutzung auch eine Möglichkeit darstellt, dass es darum geht, dass das Verhalten nicht mehr entgleist, aber dass so ein ganz reduzierter Konsum, der nicht problematisch ist, also nicht dazu führt, dass ich nicht zur Arbeit komme oder dass ich meine Ausbildung oder mein Studium nicht weiterkriege oder Konflikte in einer Partnerschaft habe. Wenn es ein konfliktfreier Konsum ist, dann ist dem ja im Grunde genommen nichts, oder erst mal aus so trocken wissenschaftlicher Sicht, nichts entgegenzusetzen, weil es eben auch die Mehrheit der Bevölkerung genauso praktiziert. Und genau das wollen wir herausfinden, ob quasi eine reduzierte Nutzung von Pornografie oder die Abstinenz das bessere Therapieziel darstellt.

[00:25:16.750] - Nadia Kailouli

Na ja, bei einem Alkoholiker ist die Antwort ja ganz klar, glaube ich, kalter Entzug, kein Tropfen mehr, nie wieder.

[00:25:23.680] - Charlotte Markert

Nein, das hat sich ein Stück gewandelt.

[00:25:25.610] - Nadia Kailouli

Ach, ist das so?

[00:25:26.330] - Charlotte Markert

Ja.

[00:25:27.240] - Nadia Kailouli

Oh, dann erzähl mal.

[00:25:28.450] - Charlotte Markert

Ich kann das jetzt auch nicht vertieft erzählen, aber teilweise scheint diese Abstinenz bei bestimmten betroffenen Personen so viel Druck auszulösen, dass es dann immer wieder Rückfälle gibt und dass die Personen immer wieder Misserfolge sammeln, weil sie dieser Abstinenz nicht standhalten können. Und wenn man sagt, zu Silvester spricht eigentlich gar nichts dagegen oder zu Geburtstagen oder was weiß ich, aber nicht in der Menge und nicht jeden Tag oder so, dann kann man natürlich auch Alkohol trinken oder Pornografie konsumieren.

[00:26:00.740] - Nadia Kailouli

Das heißt, ihr untersucht jetzt sozusagen verschiedene Therapieansätze, ob ihr jetzt sagt, wir nehmen den kalten Entzug, also radikal keine Pornografie mehr, oder wir dosieren und gucken, was ist ein gesundes Verhalten, damit umzugehen. Dafür braucht es ja Menschen, die diese Sucht erst mal haben. Wie habt ihr die gefunden und wie arbeitet man mit denen?

[00:26:23.310] - Charlotte Markert

Ja, wir suchen die natürlich exzessiv. Das ist genau das, dass wir auch in so einer Kleinstadt wie Gießen natürlich irgendwie erst mal auf uns aufmerksam machen müssen. Genau, es ist ja eine Studie, die über ganz Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland geht, aber wir haben versucht, über verschiedene Medien, sei es irgendwie Printmedien, Radio, Social Media, auf uns irgendwie aufmerksam zu machen und Betroffene dazu zu bringen, sich bei uns zu melden. Und dann machen wir natürlich erst mal einen Diagnostiktermin aus, der auch relativ ausführlich ist, um zu prüfen, ob diese Kriterien erfüllt werden und ob auch nicht eine andere psychische Erkrankung im Vordergrund steht, weil dann würden wir natürlich nicht unser sehr spezialisiertes Therapieprogramm vorschlagen, sondern vielleicht eine andere Form der Therapie, die dann vielleicht für diese Person passender erscheint. Und wenn dieser Diagnostiktermin quasi passt und da rauskommt, dass so die – in der Forschung nennt man das Pornografienutzungsstörung, aber das ist im Grunde genommen Pornografiesucht – wenn das quasi das Dominante ist und auch sonst die Person gut passt für unsere Studie, dann schließen wir sie gerne ein und dann schauen wir natürlich von unseren geschulten Psychotherapeut:innen, wer vielleicht wohnortnah wohnt und wer da gut passen kann und dann versuchen wir, zu vermitteln.

[00:27:41.420] - Nadia Kailouli

Und die haben alle das Ziel, dass sie davon loskommen?

[00:27:44.070] - Charlotte Markert

Die haben das Ziel, dass sie davon loskommen. Beziehungsweise, sie müssen auf jeden Fall bereit sein, den Pornografiekonsum zu reduzieren, weil je nachdem, in welcher Gruppe sie landen, kann es natürlich auch sein, dass man mit ihnen probiert, auch einfach den Konsum zu reduzieren, wobei Probanden da auch theoretisch abstinent leben dürfen.

[00:28:04.320] - Nadia Kailouli

Wie ist es eigentlich, wenn du im privaten Umfeld … Man kennt das ja, gerade in Deutschland fragt man dann sehr gerne: „Und was machst du so?", bei einem Abendessen. Und dann sagst du: „Ich mache gerade eine Forschung dazu, wie man Pornosucht behandeln kann, welcher Therapieansatz der bessere ist."

[00:28:18.430] - Charlotte Markert

Genau.

[00:28:18.820] - Nadia Kailouli

So, da fühlen sich wahrscheinlich ganz schnell welche Leute ertappt und sagen: „Oh Gottes Willen, hoffentlich erkennt die jetzt nicht, dass ich vielleicht auch gerne mal …" Oder sie packen dann direkt aus und sagen: „Können wir uns noch mal kurz alleine unterhalten? Vielleicht habe ich da auch ein Problem. Ich weiß es nur noch nicht." Ist das so oder möchte man mit dir im privaten Kontext darüber gar nicht sprechen?

[00:28:35.540] - Charlotte Markert

Ich kenne beide Varianten, aber ich kenne noch nicht dieses, dass ich dann irgendwie in der Ecke gezogen werde, irgendwie im Vier-Augen-Gespräch weiter zu sprechen. Aber ich kenne entweder, dass man an dem Abend schlecht noch zu anderen Themen kommt, weil dann alles irgendwie um Pornografie und politisch-ethische Themen zu Pornografie oder wie auch immer, dass sich dann alles darum dreht. Ich kenne aber auch eher so dieses „Aha, gut, nächstes Thema", und irgendwie nicht weiter darüber sprechen wollen und da eher gehemmt sein. Und ja, also ich habe das Gefühl, es wird teilweise schon eher extrem darauf reagiert, also entweder extrem positiv oder so extrem gehemmt, teilweise sicherlich auch mit so einem Generationeneffekt. Das ist so das, wie es im Privaten ist.

[00:29:16.570] - Nadia Kailouli

Okay. Warum hast du denn als Therapeutin für dich irgendwann entschieden, irgendwie ist das ein spannendes Feld, das mal auf therapeutische Art und Weise zu untersuchen, der Konsum von Pornografie?

[00:29:28.980] - Charlotte Markert

Ja, Ich glaube, ich habe während meiner Promotionszeit, die zu einem ganz anderen Thema ging, hatte ich so Nebenprojekte zum Thema, wie sich Stress auf Sexualität auswirkt. Und da haben wir aber eher geschaut, ob unter Stress eher sexuelle Dysfunktionen auftreten, also eher Schmerzen beim Sex oder irgendwie ein verzögerter Orgasmus oder ausbleibender Orgasmus oder irgendwie so was. Und das habe ich in Marburg gemacht und Gießen, wo wir jetzt arbeiten, ist wirklich irgendwie nur ein paar und 30 Kilometer entfernt. Und dann habe ich darüber natürlich auch mitbekommen, dass da auch zu Stress und Sexualität geforscht wird, aber in die andere Richtung und dachte, das passt eigentlich ganz gut zu meiner Laufbahn. Das war eigentlich so ein Ding, dass ich dachte, es könnte so der nächste Standort für mich werden, weil das eigentlich ganz spannend ist, an diesem Thema weiter dran zu bleiben. Was definitiv aber auch eine Rolle spielt, war der Besuch von verschiedenen Kongressen und Tagungen und dass ich da gemerkt habe, dass in diesem ganzen klinischen Psychotherapiebereich oder auch psychosomatischen Bereich, dass da ganz viele Bereiche des menschlichen Lebens ganz viel untersucht werden und ganz viel geforscht werden und dazu auch ganz viel berichtet wird, Themen wie irgendwie Ernährung und Bewegung und Schlaf und irgendwie so was. Und mir fiel eigentlich immer mehr auf, dass dieser Themenbereich der Sexualität da irgendwie außen vor blieb. Und die Forschungsergebnisse werden ja auch immer so thematisch sortiert. Und nun hatte ich ja durch diesen Projektnebenbereich Stress und Sexualität als Thema und habe irgendwie gemerkt, ich passe irgendwie so in keinen dieser Themenslots rein und das hat mich mehr und mehr geärgert, dass ich dachte, okay, das muss irgendwie scheinbar weiter beforscht werden. Kann ja nicht sein, dass wir über menschliches Verhalten reden, aber nicht über menschliche Sexualität, die ja auch ein menschliches Verhalten darstellt. Und ja, da kam so ein bisschen auch so eine Missionierungsidee mit dazu, dass ich gesagt habe, da muss mehr getan werden.

[00:31:17.040] - Nadia Kailouli

Wann können wir denn mit eurem Ergebnis rechnen? Also wann wisst ihr für euch durch eure Studie am besten, welcher Therapieansatz der bessere ist, eine Pornosucht zu therapieren?

[00:31:28.270] - Charlotte Markert

Das dauert leider noch eine ganze Weile. Wir haben jetzt erst die Einschlüsse in die Psychotherapie und unsere Therapien laufen sechs Monate. Wir vergleichen das aber auch mit der Therapie, die jetzt so im Allgemeinen betrieben wird und die darf bis zu 18 Monate dauern. Das heißt, von jetzt und dann nach Projektabschluss macht man ja oft noch eine Follow-up-Untersuchung oder so. Also bis die Ergebnisse veröffentlicht werden, werden jetzt eher noch so drei, vier Jahre ins Land gehen und dann wissen wir hoffentlich mehr. Aber die ersten Therapien werden definitiv Ende dieses Jahres beendet sein und dann haben wir schon so vielleicht erste Ideen.

[00:32:06.780] - Nadia Kailouli

Erste Tendenzen, okay. Also wenn es unseren Podcast einbiszwei in vier Jahren noch gibt, liebe Charlotte, dann sprechen wir uns wieder und gucken, was ist die beste Form, Therapieform für Pornosucht.

[00:32:18.230] - Charlotte Markert

Sehr, sehr gern.

[00:32:18.970] - Nadia Kailouli

Vielen, vielen Dank, dass du dir heute die Zeit genommen hast und wir mit dir über deine Studie sprechen konnten. Vielen Dank.

[00:32:24.070] - Charlotte Markert

Ich danke.

[00:32:27.990] - Nadia Kailouli

Ja, super interessante Einblicke, die Charlotte uns da gegeben hat und auch krass, wie lange so eine Studie dann am Ende dauert. Ich finde es total toll, wie sachlich und wissenschaftlich sie darüber gesprochen hat, weil es ist halt einfach, wie sie ja schon sagte, also es konsumieren einfach Millionen Menschen Pornografie und es ist natürlich aus psychologischer Sicht absolut wichtig und richtig, da einfach hinzugucken: Wie können wir Menschen helfen, die daraus eine Sucht entwickeln und da rauskommen wollen? That’s it! Und deswegen super, dass Charlotte heute unser Gast war.

[00:33:03.140] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Die überwiegende Mehrheit aller Deutschen konsumiert Pornographie, etwa drei bis fünf Prozent der Männer sind süchtig danach, maximal zwei Prozent der Frauen entwickeln ebenfalls eine Abhängigkeit. Alle anderen scheinen eine Art von „normalem” Pornografiekonsum zu betreiben, wobei der Konsum natürlich sehr unterschiedlich sein kann, hinsichtlich der Länge oder Häufigkeit oder auch des Materials, das geschaut wird.

Von Pornosucht sprechen Wissenschaftler:innen, wenn der Pornografiekonsum zum Fokus, zum Lebensmittelpunkt geworden ist und sehr viel Raum im Leben einnimmt – und das schon über eine längere Zeit. Wenn das Abhängigkeitsverhalten im Leben der Person über einen Zeitraum von sechs Monaten oder länger wirklich zentral wird, die Person auch angibt, dass sie die Kontrolle darüber verloren hat, also dass sie häufiger versucht hat, den Konsum zu reduzieren oder ganz aufzuhören und das nicht schafft und andere Lebensbereiche dadurch eingeschränkt werden, dann sprechen die Forscher:innen von einer Pornosucht.

Die Psychotherapeutin Charlotte Markert forscht an der Uni Gießen gemeinsam mit Kolleg:innen über Pornosucht. Sie erzählt bei einbiszwei, wie Pornokonsum zur Sucht wird, was dabei im Gehirn und mit der Psyche passiert - und wie eine neue Therapie, die gerade erprobt wird, Pornosüchtigen helfen kann.

Hinweis: Genaugenommen ist "Pornografie-Sucht" nicht die korrekte Bezeichnung, da es sich um eine Impulskontrollstörung handelt. Die Pornografie-Nutzungsstörung wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Störung mit zwanghaftem Sexualverhalten („Sexuelle Sucht“) in der "ICD-11" (International Classification of Diseases, 11th Revision) als Erkrankung anerkannt.

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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